Menschenrechtsgericht verhandelt über Sterbehilfe in Deutschland
Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich um eine Frau aus Niedersachsen, die nach einem Sturz im Jahr 2002 vom zweiten Halswirbel an gelähmt war. Sie konnte weder selbstständig atmen, noch sprechen und musste künstlich ernährt werden. Als sich ihr Zustand nicht besserte, entschloss sie sich ihrem Leben ein Ende zu setzen und beantragte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein entsprechendes Medikament.
Die Behörde verweigerte ihr das Mittel und berief sich bei ihrer Entscheidung auf das Betäubungsmittelgesetz. Daraufhin klagte die Frau gemeinsam mit ihrem Mann gegen den Beschluss und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. 2005 ist die Frau gestorben. Sie nahm sich mit Hilfe des Vereins Dignitas in der Schweiz das Leben. Der Ehemann führt die Klage fort.
Medizinrechtler Koch zufolge hat das Bundesinstitut das Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Privatleben verletzt. Nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention habe jeder Mensch das Recht zu entscheiden, wann man das eigene Leben beenden will. »Der deutsche Staat zwingt Menschen wie diese Frau zum Leben«, sagte Koch. Das Betäubungsmittelgesetz schränke das Recht auf Lebensbeendigung der Europäischen Menschenrechtskonvention ein.
Koch rechnet frühestens im Sommer 2011 mit einem Urteil der Straßburger Richter. Erkennt das Gericht eine Verletzung der Menschenrechtskonvention an, kann der Witwer auf Schmerzensgeld hoffen. Zudem geht Anwalt Koch von einer langfristigen Wirkung auf die deutsche Gesetzgebung aus. »Wird die Abgabe von Medikamenten auch zu lebensbeendenden Zwecken erlaubt, wird der begleitete Suizid legalisiert,« sagte Koch.
In Deutschland ist die Sterbehilfe nicht legal, aber straffrei. Erst im Juni hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Recht auf menschenwürdiges Sterben gestärkt. Koch warnte davor, den Anspruch auf Sterbehilfe zu verteufeln. Eine gesetzliche Regelung hätte Vorteile für Kranke und deren Angehörige: »Menschen, die leiden, müssen das Leiden beenden dürfen.«
Weitere Informationen in unserer Tagesausgabe vom 24.11.2010.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.