Die Rübe ist kein Vorbild

Genossenschaften haben in der Krise an Respekt gewonnen

  • Hendrik Lasch, Delitzsch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Genossenschaft als Unternehmensform bleibt 20 Jahre nach Ende der DDR im Osten verwurzelt und hat in der Krise an Attraktivität gewonnen. Die Branche blickt nun erwartungsvoll auf 2012, das als UNO-Jahr der Genossenschaften begangen wird.

Wer die Grundidee des Genossenschaftswesens erklären will, kann Hermann Schulze-Delitzsch zitieren. Als einer der deutschen Gründerväter der Bewegung, hatte er Mitte des 19. Jahrhunderts die Schuhmacher seiner sächsischen Heimatstadt zu gemeinschaftlichem Wirtschaften angehalten, weil sich so die Kräfte bündeln ließen. Man kann es aber auch halten wie Claus Voigt, Chef der Agrargenossenschaft im erzgebirgischen Colmnitz, der kurz und knapp auf seine Erfahrungen als Bauer verweist: »Vereinzeln«, sagt Voigt, »hilft nur den Rüben.«

Eine erkleckliche Zahl von Unternehmen gerade in der ostdeutschen Landwirtschaft setzt auch 20 Jahre nach Ende der DDR auf diese Einsicht. 228 Agrargenossenschaften gibt es allein in Sachsen und Thüringen; sie bewirtschaften ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche – obwohl sie nach 1990 »viele Anfeindungen erlebten«, so Dietmar Berger, Direktor des Mitteldeutschen Genossenschaftsverbandes (MGV). Nicht nur er zog am Dienstag bei einer Tagung in Delitzsch eine positive Bilanz. Genossenschaften seien »alles andere als verstaubt« und zudem aus dem Wirtschaftsleben »nicht wegzudenken«, meint Eckhard Ott, der Vorstandschef des Deutschen Raiffeisen- und Genossenschaftsverbands.

Die bundesdeutsche Genossenschaftslandschaft ist dabei mit dem Erbe der DDR bereichert worden, wird angemerkt. Barbara Biesold vom MGV verweist auf gewerbliche Genossenschaften, die es 1990 in der Bundesrepublik praktisch nicht gegeben habe. In Sachsen aber sind zwölf Prozent der vormaligen Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) in dieser Form weitergeführt worden und hätten sich zu stabilen mittelständischen Unternehmen entwickelt, wobei sich die Frisör-Genossenschaften als beständigste Branche erwiesen. Insgesamt erwirtschafteten 69 Betriebe – von Gärtnern bis zu Bäckern und Stuhlbauern – mit 1645 Mitgliedern im vorigen Jahr 45 Millionen Euro Umsatz.

Generell hätten Genossenschaften die Wirtschaftskrise nicht nur gut überstanden, weil sie regional wirtschafteten, einen engen Kontakt zu ihren Kunden hielten und »nicht in Irland spekulierten«, wie Berger formuliert. Das Modell habe sogar an Attraktivität gewonnen. Genossenschaftsbanken hätten bei Kunden- und Mitgliederzahlen sowie den Einlagesummen zugelegt. Und generell »wird uns mehr Respekt entgegengebracht«, beobachtet Berger – auch in der Politik, in der die Unternehmensform einst nicht nur wegen der Anrede »Genosse« als sozialistische Altlast verrufen war.

Aller Sorgen ledig ist die Bewegung aber nicht. Die Agrargenossenschaften schauen mit Sorge auf die Neugestaltung der europäischen Förderpolitik. Allerdings betont Berger, dass diese nicht gegen Genossenschaften gerichtet, sondern auf Großbetriebe unabhängig von der Rechtsform zugeschnitten seien. Er ruft daher zur Bündelung der Kräfte mit anderen Betroffenen. Zudem betont er, Agrargenossenschaften seien »Mehrfamilienbetriebe«, deren einzelne Mitglieder nicht mehr Fläche bewirtschafteten als viele Einzelbauern.

Im gewerblichen Bereich räumt Biesold ein, dass man sich in Sachen Neugründungen »mehr versprochen hatte«. Existenzgründer werden noch immer selten auf die Unternehmensform hingewiesen. Selbst im eigenen Bundesverband hat man das Prinzip der Produktivgenossenschaften noch nicht verstanden, klagt sie: Diese gelten als Zusammenschluss von Arbeitnehmern, nicht von unternehmerisch handelnden Mitgliedern. Generell werde auf die speziellen Ost-Erfahrungen zu oft verzichtet, sagt auch Berger: In vier Spitzenverbänden und vielen weiteren Gremien des Genossenschaftswesens säßen lediglich zwei Ostdeutsche.

In die Zukunft blicken die Genossenschafter aber zuversichtlich: 2012 wurde von der UNO zum »Jahr der Genossenschaften« ausgerufen. Das müsse als Gelegenheit verstanden werden, »auf gesellschaftliche Herausforderungen genossenschaftliche Antworten zu formulieren«, so Berger. Beispiele gibt es: bei der Energieerzeugung oder beim Wohnen im Alter etwa. Und in Sachsen-Anhalt betreibt ein Dorf seine Kita, den Sportplatz und den Jugendclub in Form einer Genossenschaft.

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