Kein Recht auf den eigenen Tod?

Europäischer Gerichtshof beriet über Sterbehilfe-Fall

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Seit Jahren klagt ein Witwer gegen die Verweigerung der Sterbehilfe für seine inzwischen verstorbene Frau. Deutschland hatte damals die Gabe einer tödlichen Medikamentendosis abgelehnt.

Straßburg (AFP/ND). Mit einem deutschen Rechtsstreit um Sterbehilfe hat sich am Dienstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasst. Das Gericht prüfte die Klage eines 67 Jahre alten Witwers aus Braunschweig, dessen querschnittsgelähmte Frau in Deutschland vergeblich die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis von Schlafmitteln beantragt hatte.

Nach der Absage des Bundesamts für Arzneimittel setzte die damals 55-Jährige im Februar 2005 ihrem Leben in der Schweiz ein Ende – mit Hilfe der Sterbehilfeorganisation Dignitas. Ihr Mann wirft Deutschland unter anderem einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens vor. Dazu gehöre das Recht eines Menschen, seinem Leben selbstbestimmt und in Würde ein Ende zu setzen, sagte der Anwalt des Klägers, Detlef Koch.

Die Frau des Klägers war im April 2002 vor ihrem Haus mit dem Kopf auf einen steinernen Blumentopf gestürzt und hatte sich dabei das Genick gebrochen. Seither war sie querschnittsgelähmt, musste künstlich beatmet und ernährt werden. »Sie wurde rund um die Uhr von Pflegekräften betreut«, berichtete der Witwer, Ulrich Koch. Außerdem habe sie unter Spasmen gelitten, Tag und Nacht. Seine Frau habe nur einen Wunsch gehabt: mit Medikamenten für immer einzuschlafen – und zwar zu Hause. Das sei ihr in Deutschland verweigert worden. Die Verweigerung habe aber auch seine Rechte verletzt. Die Lage sei für ihn »unerträglich« gewesen.

Der Rechtsvertreter der Bundesregierung, Christian Walter, verteidigte die Entscheidung des Bundesamtes für Arzneimittel. Niemand bestreite, dass es sich um einen besonderen Härtefall gehandelt habe, sagte der Jurist. Die schwerbehinderte Frau habe ihr Leben beenden wollen. Das sei in Deutschland nicht strafbar, ebenso wenig wie Beihilfe zum Selbstmord. Allerdings könne daraus keine »Verpflichtung« zur Suizidhilfe für den deutschen Staat abgeleitet werden. Im Übrigen lasse das Betäubungsmittelgesetz den Erwerb tödlicher Medikamente zum Zwecke des Suizids nicht zu. Das Urteil des Gerichtshofes ist erst in einigen Monaten zu erwarten.

Der Straßburger Gerichtshof hatte sich bereits im Jahr 2002 mit der Sterbehilfe-Problematik befasst. Damals lehnten die Richter die Beschwerde einer 43 Jahre alten todkranken Frau ab, die in Großbritannien vergeblich Sterbehilfe beantragt hatte. Sie hatte geltend gemacht, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Schutz des Lebens schließe im Umkehrschluss ein Recht auf würdiges Sterben ein. Dies verneinte der Gerichtshof. Die Britin starb wenig später an einer Erkrankung des zentralen Nervensystems.

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