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Die Freiheit im Balkangebirge

Dimitar Atanassow und eine Herde von Wildpferden

  • Eleni Pavlidou
  • Lesedauer: 3 Min.

In seiner Heimat Bulgarien ist Dimitar Atanassow kein Unbekannter. Als Romancier und Dramatiker hat er sich bereits Anfang der 1990er Jahre einen Namen gemacht und viele Preise gewonnen. Nach etlichen Kurzgeschichten in deutschen Zeitschriften und Anthologien wurde nun sein erster Roman auf Deutsch veröffentlicht.

»Die unerträgliche Freiheit«:

Im Mittelpunkt steht eine Herde Wildpferde. Doch muss man nicht gleich ein Tierfreund sein, um die Geschichte zu mögen. Die Horde stellt gleichsam einen menschlichen Mikrokosmos dar. Es ist dies eine Gesellschaft im Urzustand, matriarchalisch, unverdorben und danach strebend, die Plagen, die die Natur neben all ihrer Schönheit bereithält, zu bewältigen. Um dahin zu gelangen, mussten sich die Tiere erst einmal von den Menschen befreien. Diese freilich treten in diesem Roman grausam, irrsinnig oder bestenfalls schwach in Erscheinung.

Man merkt es der Geschichte an, dass ihr Verfasser einen Monat bei einer verwilderten Herde im zentralen Balkangebirge verbracht hat. Die Beschreibung der Pferde, ihrer Rituale, etwa wenn sich zwei Junghengste um Belotschela, die Stute mit der weißen Stirn, ein Duell liefern, sind von ungeheurer Klarheit und Plastizität. »Mit hocherhobenen Köpfen und gestreckten Hälsen belauerten sich die beiden, mal stampften sie mit den Vorderhufen auf die Erde, mal umkreisten sie sich, zornentbrannt und mit gesträubtem Fell.« Nicht ganz einfügen wollen sich allerdings die Passagen, in denen Abstrakteres verhandelt wird. Auf banale Weise wird wieder und wieder der Begriff Freiheit bemüht. Wenn sich die Anführerin an ihr altes Leben erinnert, geknechtet und immer hungrig, heißt es: »Eine Art von Leben, ohne Freiheit, das sie nicht für einen einzigen Tag mit ihrem jetzigen tauschen würde.« Ein andermal denkt sie beim Anblick eines Flugzeugs: »Srebrista hatte diese Vögel schon vorher gesehen und sie einfach als eines der Dinge akzeptiert, die von Menschen geschaffen wurden, damit es nirgendwo Freiheit gab …«

Klar, es geht um Zivilisationskritik – am Beispiel dieser Pferdeherde, die sich von ihren Fesseln befreit, keine Sprache benötigt und in der es allein darauf ankommt, zu essen, sich fortzupflanzen und den Naturgewalten zu trotzen. Manch einer versteht vielleicht, dass der Autor nach Jahrzehnten empfundener Unfreiheit – der Roman ist in Bulgarien 1992 erschienen – eine archaische Gemeinschaft als romantische Utopie setzt. Dass sich Widersprüche der Wirklichkeit auf diese Weise nicht lösen lassen, mag der Autor selbst wissen.

Es ist nicht gut um das Schicksal der Pferde bestellt, wie der Leser von Beginn an weiß. Von den Menschen auf den eisigen Gipfel eines Berges getrieben, sterben die Übriggebliebenen. Doch das Bild, das sie abgeben, indem sie ihr schwächstes Glied umkreisen, um es mit ihrem Atem zu wärmen, bis sie zugrunde gehen, ist ein überzeitliches Mahnmal für Mitgefühl, Anstand und Solidarität.

Dimitar Atanassow: Die unerträgliche Freiheit. Berlin: Dittrich Verlag. 152 S., brosch., 11,80 €

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