»Sozialverträglicher Computereinsatz« in den 1980ern

Zurück in die Vergangenheit – um die Gegenwart besser zu verstehen!

  • Lesedauer: 3 Min.
Wikileaks contra US-Geheimdienste, Jugendmedien-Staatsvertrag versus Blogger-Freiheit, Netzneutralität oder Zwei-Klassen-Internet, de Maizières »rote Linien« als ABM-Maßnahme für Abmahnanwälte, der Kampf bayrischer Behörden gegen »sozialethisch desorientierende« Kunst, pardon: Schmutz und Schund – Zoff um die Zukunft des Internets! Das ist aber gar nichts verglichen mit der Grünen-Debatte über »sozialverträglichen Computereinsatz« Mitte der 1980er-Jahre.
E-Briefe im Bundestag
E-Briefe im Bundestag

Schon damals ging es um Computernetzwerke und »Datenfernübertragung«. Um die Hoffnung auf mehr (»Basis«-)Demokratie. Oder wenigstens ein »Computer-Parlament«. Und um teils irrationale Ängste um die nur »0« und »1« verstehenden Höllenmaschinen namens Computer. Das Schöne daran: Der NDR hat damals ein Filmteam losgeschickt – so entstand ein zeithistorisches Dokument, das anzuschauen sich durchaus lohnt.

Wir sehen Aktivisten des Chaos Computer Club (CCC), die versuchen, Chancen und Risiken der neuen Technik auszuloten – und kaum Gehör finden. Nie verwirklicht wurde jedenfalls die »Computer-Teestube«, die die technikaffinen CCC-Herren um den legendären Wau Holland vorschlugen, um Politikern gaaanz laaangsam »die sanfte Annäherung an harte Technik« zu ermöglichen. Schade eigentlich: Heute tun sich Politiker schwer mit dem Dinsgda namens Internet. Warum? »Vielleicht deshalb, weil unsere Kinder und Enkelkinder mit der Technik vertrauter sind als wir etwas älteren Herren und Damen, die im Bundestag sitzen.« (O-Ton Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion).

Springen wir in der Zeit: Zurück in die Vergangenheit, um die Gegenwart besser zu verstehen! Denn schon damals gab es sie: Die unkritischen Technikeuphoriker wie die manischen Techniktrottel, die vor Computern zittern. In den Worten des CCC-Gurus Wau Holland: »Da sind die Verweigerer, die zu viel befürchten und zu wenig erwarten und das andere sind die, ... die zu viel erwarten und zu wenig befürchten.« Man könnte noch ergänzen: Es gab, drittens, jene über Gebühr von sich selbst Begeisterten, die zum Grünkohlessen luden – mittels seinerzeit modernster Technik.

Das Ganze ist – versprochen! – sehr komisch. Zumal wir zwei Spitzen-Grüne sehen, die später außerhalb der zwischenzeitlich verbürgerlichten und von Inhalten befreiten Partei Karriere machen sollten. 1987 warnte der »Totalverweigerer« Udo Knapp: »Jeder kleine Mann irgendwo in jedem kleinen Dorf« müsse sich artikulieren können. Doch genau das würden Computer verhindern. Die Technikgeschichte sollte, wie man weiß einen genau umgekehrten Verlauf nehmen, zumindest im Norden des Planeten. Später wechselte der »Vordenker der Grünen« (»Die Zeit«) zur Sozialdemokratie: Knapp wurde ein durchaus nicht unbedeutender Regionalpolitiker in Mecklenburg-Vorpommern.

Der andere, untypisch technikfreundliche Damals-noch-Grüne, heißt Jürgen Reents. Damals schleppte er einen portablen Bondwell (»schwer wie eine Nähmaschine«) ins Parlament. Heute ist er Chefredakteur einer sozialistischen Tageszeitung.

Surftipps:

Der NDR-Bericht über »sozialverträglichen Computereinsatz bei den Grünen«

Wikileaks-Zoff

Jugendmedien-Staatsvertrag

Zwei-Klassen-Internet

Kritik an des Bundesinnenministers »Roten Linien«

Bayrische Behörden gegen »sozialethisch desorientierende« Kunst

Schwierige Annäherung: Grüne und Technik
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