Verbietet das Internet!

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Schwangerschaft verhütet man zuverlässig, wenn sich beide zum Sexualkontakt entschlossene Partner ganzkörperlich mit »Klosterfrau Melissengeist« einreiben, auch gegenseitig möglich.

Das ist nur einer jener Datensätze, um deretwillen das Internet weltweit unverzichtbar geworden ist. Gäbe es beispielsweise nicht die vielen Seiten, auf denen Patienten Tipps zur Selbstmedikation bei scheußlichen Krankheiten erteilen, man wüsste gar nicht, woran man sterben sollte. Die »Herrenunterhose mit Eingriff«, die neben dem Hundefutter im Supermarkt auf Zugriff wartet, kann man sich nun auch von Amazon schicken lassen. Bei Ebay kann man sie sogar ersteigern, auch »leicht gebraucht«! Damit hat die Zivilisation ihre schönste Blüte erreicht.

Auch geistig lebten wir bisher in finsterer Umnachtung. Nicht nur in der DDR – da sowieso, nein, noch weit in die freiheitlichen 90er Jahre hinein. Alles, was Menschen prononciert denken und pointiert artikulieren, blieb uns in seiner Vielfalt verborgen. »Diese Nahles ist doch net sauber is die net. Und so was vermärt sich!«, meint »Rosenkavalier«. (Wie wir doch bisher die Orthografie überschätzt haben!) »Wir stammen alle vom Neger ab. Nur die Juden nicht die sind fein raus«, meint »Jubeltitte«.

Noch nie war so viel Meinung wie heute. Sie hat die Tatsachen allein schon quantitativ weit hinter sich gelassen. Der Mensch ist als Meiner vollständig von den Tatsachen emanzipiert und muss keine albernen Rücksichten mehr nehmen. (»Die hat sie doch nicht alle«, hieß es über den jüngsten Auftritt von Ursula von der Leyen zu Hartz IV von »Schnäppchenjäger«. Instinktiv möchte man ihm Recht geben, obwohl man nicht weiß, warum.) Als eine politische Wochenzeitung, der »Freitag«, das begriffen hatte, nannte sie sich »das Meinungsmedium«: Dort kann man nunmehr auf Papier lesen, wozu man ansonsten umständlich den Computer benutzen müsste. Eine Zeitung, die Blogs nachdruckt, ist der Tod des Zeitungssterbens!

Dank Internet gab es noch nie so viele »Beziehungen« – glückliche, weil ohne den oft problematischen Körperkontakt. Die ersten rein digitalen Ehen feiern bald Silberhochzeit – die Eheleute chatten dann nett miteinander. Und natürlich Freunde! Ich habe eine Facebook-Seite, auf der ich mich grell vermarkte. Täglich brauche ich eine Stunde um mich der zahlreich mir angetragenen Freundschaften zu erwehren. Danke, Freunde!

Auch die Politik hängt sich dran. Heute gibt es bei der Kanzlerin einen sogenannten Internetgipfel. Mit den Gipfeln schafft sie sich Höhepunkte. Er findet nicht virtuell statt, was naheliegend wäre, sondern sozusagen fleischlich. Gipfel sind bei der jetzigen Regierung das, was früher der Arbeitskreis war, den man bekanntlich dann gründet, wenn man nicht weiter weiß. Vor allem aber sind die Gipfel dazu da, den zu regulierenden Kram in Sack und Tüten zu kriegen, bevor die Abgeordneten anfangen, sich dafür zu interessieren.

Im Prinzip geht es darum: Der Staat möchte alles über den Bürger wissen, beobachtet ihn bis auf die Parkplatztoilette. Der Staat darf das – aber Google und Konsorten sollen es nicht dürfen. Dabei ist das gar nicht das Problem. Mein Problem war bis vor kurzem ein ganz anderes. Jahrelang stand über mich im Internet, ich sei mit dem Konrad-Adenauer-Preis für Verdienste um die deutsche Einheit geehrt worden. Natürlich frage ich mich, warum ich als kleiner ND-Flattersätzler überhaupt im Internet stehe. Der Konrad-Adenauer-Preis jedoch war eine schwere Geschäftsschädigung. Ich wurde kaum noch zu Lesungen eingeladen (nur noch vom Bund der deutschen Industrie und von den Vertriebenen). Im ND wurde mir grob das Honorar gekürzt und die LINKE schickte mir ihr Blättchen nicht mehr. Wie wünschte ich mir da, Konrad Adenauer hätte gegenüber Wikipedia die Sache bereinigen können! Inzwischen ist der Preis aus meiner »Vita« zwar verschwunden, aber noch immer reagieren Frauen, die ich auf der Straße anspreche, zuweilen ablehnend. Verdammtes Internet! Es müsste verboten werden.

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