Geisterhäuser in Airbusland

In Neuenfelde stehen trotz Hamburger Wohnungsmangels zahlreiche Häuser leer

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Während in Hamburg Wohnungsnot herrscht, stehen im Stadtteil Neuenfelde fast 50 Häuser mit 80 Wohnungen leer. Die hatte die Stadt wegen der Airbus-Werkserweiterung vorsorglich gekauft. Die zuständige Finanzbehörde blockiert die Neuvermietung. Offizielle Begründung: Anhängige Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Start- und Landebahnverlängerung sind nicht abgeschlossen.

Das 4800 Einwohner zählende Neuenfelde ist eine von Obstanbau geprägte Idylle des Alten Landes im Südwesten von Hamburg. Eigentlich ein idealer Wohnort für junge Familien, die liebend gern in die von der städtischen Wohnungsgesellschaft SAGA/GWG verwalteten Objekte Am Rosengarten, Organistenweg und Hasselwerder Straße einziehen würden. Doch sie dürfen nicht.

»Es gibt keine neuen Vermietungen«, erklärt SAGA/GWG-Sprecher Mario Spitzmüller knapp und verweist auf den Eigentümer – die Stadt. Die hat das Areal rund um den historischen Rosengarten zum »Gebiet für Geländebevorratung« erklärt und die Häuser den Bewohnern in den Jahren 2001 bis 2004 für »gutes Geld«, wie es im Dorf heißt, abgekauft. Ziel sei es laut Finanzbehörden-Sprecher Daniel Stricker gewesen zu verhindern, »dass die Arbeitsfähigkeit von Airbus beeinträchtigt wird«.

Vorgegaukeltes Leben

Das ist gelungen. Heute liegen die verkauften Häuser in der Einflugschneise der Airbus-Flugzeuge. Die meisten stehen leer. Nur an einigen Mehrfamilienhäusern sind nicht alle Briefkästen verklebt. In den Geisterhäusern hat der Verwalter Zeitschaltuhren zum An- und Ausknipsen des Lichts installieren lassen, um Leben vorzugaukeln. Eine Fachfirma für Objektsicherung dreht nachts ihre Runden.

Manche der Fenster sind mit Holzplatten verrammelt, um potenziellen Einbrechern die Arbeit zu erschweren, und regelmäßige Begeher sind dem Schimmel auf der Spur. Mehrere Dutzend Häuser sind verwaist und verwittern, weil die Stadt immer noch Angst hat, etwaige Bewohner könnten gegen den zunehmenden Fluglärm klagen.

Dabei findet sich im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen folgender Passus: »Der Leerstand von Immobilien im Dorf Neuenfelde wird beendet.« Angestrebt werde eine »vollständige Vermietung«. Doch diese Passage war schon vor dem Aus von Schwarz-Grün nicht mehr als ein Papiertiger. Wann denn endlich mit dem Ende des seit 2004 andauernden Leerstandes zu rechnen sei, hakte der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Thomas Völsch in einer schriftlichen Kleinen Anfrage nach. »Die zuständigen Behörden erarbeiten derzeit eine stufenweise Lösung für alle betroffenen Häuser und Grundstücke, insbesondere zur baldigen Wiederaufnahme der Wohnnutzung«, antwortete der Senat am 8. November 2010.

Klar ist: Bis zur Bürgerschaftswahl am 20. Februar herrscht Stillstand. Die Neuenfelder sind empört. Der im Dorf geborene Günter Piehl (63) wettert: »Dass nichts passiert, ist eine große Schweinerei. Die lassen uns hier versauern.«

Die: Das sind die Stadt Hamburg und ihre Vertreter. »Airbus-Erweiterung, Umgehungsstraße und A 26 belasten fast ausschließlich Neuenfelde«, sagt Piehl, der SPD-Ortsvereinsvorsitzender ist, und schiebt resigniert hinterher: »Man fühlt sich eher als Altländer denn als Hamburger.«

Nicht immer freiwillig

In Neuenfelde sind alle Parteien für schnelle Neuvermietungen. Unterstützung kommt vom Mieterverein zu Hamburg. Für den stellvertretenden Vorsitzenden Siegmund Chychla ist es unverständlich, dass begehrter Wohnraum einfach leersteht: »Hier muss zumindest die Option einer befristeten Vermietung möglich sein.«

Dass Bedarf da ist, kommt Klaus Quast (54), der die Drogerie vor Ort betreibt, fast täglich zu Ohren: »Es fragen ständig junge Leute an, ob sie die leeren Häuser beziehen können. Aber die SAGA sagt nein.« Der Steuerzahler trägt die enormen Kosten des Leerstands – der Senat beziffert allein die entgangenen Mieteinnahmen auf monatlich 27 000 Euro. Dazu kommen die Kosten für Verwaltung, Sicherheitsdienste und Instandhaltung.

Auch Quast hat Verluste erlitten. Er spricht über massive Umsatzeinbußen: »Die Stadt hat mir meine Kunden abgekauft. Sie haben nicht nur ihre Häuser verloren, sondern auch ihre Heimat.«

Sie sind nach Estebrügge, Buxtehude, Neuwulmsdorf und Jork ausgewichen – nicht immer freiwillig, wie Quast berichtet: »Die Aufkäufer der Stadt haben die Menschen zum Teil massiv unter Druck gesetzt: Ihr müsst jetzt verkaufen, sonst kriegt ihr gar nichts mehr.« Quast ärgert, dass die Stadt »ohne Auftrag« aktiv wurde: »Airbus hat nur Wünsche geäußert.« Und die wurden befolgt.

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