Historischer Besuch beim Nachbarn

Horst Seehofer reist am Sonntag als erster bayerischer Regierungschef offiziell nach Prag

  • Katerina Zachovalova
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Sonntag reist der CSU-Chef Horst Seehofer als erster bayerischer Ministerpräsident in die tschechische Hauptstadt Prag. Dies soll eine jahrzehntelange Eiszeit beenden, eine späte Folge des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung der Sudetendeutschen.

Prag/München. Vor Ministerpräsident Horst Seehofers historischem Besuch in Prag eint alle Beteiligten ein dringender Wunsch: Es soll und darf nichts schiefgehen. Sowohl die tschechische wie auch die bayerische Seite tun ihr Bestes, um Erwartungen herunterzuschrauben. Seehofer selbst möchte eine »neue Epoche« einleiten. Keine andere europäische Hauptstadt ist München so nahe wie Prag – Seehofer verzichtet auf einen Flug und fährt mit dem Auto. Doch wegen des jahrzehntelangen Streits um die Vertreibung ist das Verhältnis nach wie vor belastet. Der CSU-Chef fährt mit einer Mini-Delegation ins Nachbarland.

Bayerische Ministerpräsidenten bereisen die gesamte Welt – doch in Prag war seit dem Fall des Eisernen Vorhangs noch kein Regierungschef aus München. Das hat zwei Gründe: Die Forderung der CSU nach Rücknahme der Benes-Dekrete – die nach 1945 die Grundlage für die Vertreibung der Deutschen und Ungarn aus der Tschechoslowakei waren – und die bayerische Bedingung, einen Vertreter der Sudetendeutschen mitzunehmen. Der Kalte Krieg hat viele Spuren im Verhältnis der Nachbarn hinterlassen – bis hin zur Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil des einstigen Böhmerwaldes heute den Namen Bayerischer Wald trägt.

Verklausulierte Sprache

Über die Benes-Dekrete wollen die Tschechen nicht sprechen. Diese Frage sei seit der Tschechisch-Deutschen Erklärung 1997 geklärt und es gebe dazu »nichts zu verhandeln«, sagt Jan Osuch, der Sprecher des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas.

Doch wird Bernd Posselt bei der Reise dabei sein – der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und CSU- Europapolitiker. »Mir kommt es weniger auf die Gespräche an als darauf, ein Zeichen des guten Willens zu setzen«, sagt Posselt. »Die Nachbarschaft existiert, aber die Nachbarschaftlichkeit muss gestärkt werden.« Neben Posselt noch dabei sein werden nach den Angaben des CSU-Europapolitikers voraussichtlich der katholische Domkapitular Lorenz Wolf – und für die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft deren Präsident Randolf Rodenstock.

Die Webseite Parlamentni Listy berichtete, dass Ministerpräsident Necas Posselt nicht treffen wolle – doch das war wohl eine Falschmeldung. »Die Zusammensetzung der bayerischen Delegation ist vollständig Sache des bayerischen Ministerpräsidenten«, sagt Necas' Sprecher Osuch. Was in der verklausulierten Sprache der internationalen Diplomatie bedeutet: Wenn Seehofer Posselt mitnimmt, protestiert die Regierung in Prag auch nicht. Allein das ist schon ein Zugeständnis.

Am Sonntagabend wird aber zunächst der tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg den bayerischen Ministerpräsidenten und dessen kleine Delegation empfangen. Der im Jahr 1937 geborene Schwarzenberg vereint in seiner Person selbst die Brüche der Geschichte. Der Prinz entstammt einem der ältesten und reichsten deutschsprachigen Adelsgeschlechter im ehemaligen Böhmen, während des Kalten Kriegs lebte er in Österreich und der Schweiz. »Dies ist ein symbolischer Besuch. Bayern ist ein wichtiger Handelspartner und ein großer Nachbar«, sagt Außenministeriumssprecher Vit Kolar.

Bislang nur kurze Berichte

Ein gutes Zeichen für Seehofer: In Tschechien hat der geplante Besuch bislang keinen großen Wirbel ausgelöst, die Prager Zeitungen berichteten nur kurz darüber. Lediglich die Kommunisten protestierten. »Absurd und nicht akzeptabel«, schimpfte Vizeparteichef Jiri Mastalka. Sowohl Seehofer als auch Posselt gehörten »zu den deutschen Politikern, die systematisch gegen die Konsequenzen der Maßnahmen vorgehen, die die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg gegen das besiegte Nazideutschland ergriffen«.

Mit den »Maßnahmen«, auf die Mastalka mit diesem Schachtelsatz anspielt, ist die Vertreibung gemeint. Doch Mehrheitsmeinung ist Mastalkas Tirade nicht. Die Prager Presse hat die Äußerungen nicht aufgegriffen.

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