Winterzeit und Arbeitsverhältnis: Wenn Schnee und Eis den Arbeitsweg erschweren

Arbeitsrecht

  • Lesedauer: 4 Min.
Eis und Schnee, vereiste Straßen, Verspätungen bei S- und Straßenbahn und im Regionalverkehr führen dazu, dass Beschäftigte ihre Firmen nicht rechtzeitig zur Arbeitsaufnahme erreichen. Ob Chaos oder nicht – Stress, winterliche Wartezeiten auf Bahnhöfen und Zuspätkommen sind Begleiterscheinungen der gegenwärtigen Winterzeit. Wie aber sind die arbeitsrechtlichen Konsequenzen?

Jedes Jahr treten im Winter die gleichen Fragen auf, was arbeitsrechtlich läuft, wie die Rechtslage ist. Und wie ist der Sachverhalt, wenn der Mitarbeiter trotz allem pünktlich ist, der Chef aber anweist: Alle gehen wieder nach Hause, weil die Heizung ausgefallen ist?

Arbeitnehmer trägt das Wegerisiko

Zunächst: Der Arbeitnehmer hat die arbeitsvertragliche Pflicht, zum betrieblich oder arbeitsvertraglich festgelegten Zeitpunkt seine Arbeit aufzunehmen. Wie er den Betrieb erreicht, mit welchem Verkehrsmittel, unter welchen Witterungsbedingungen, ist Angelegenheit des Arbeitnehmers. Er trägt das so genannte Wegerisiko. Erreicht er aus welchen Gründen auch immer den Betrieb nicht pünktlich, weil ein Streik, ein Verkehrsunfall oder eben witterungsbedingt die pünktliche Arbeitsaufnahme nicht möglich ist, trägt er eben das Risiko.

Im Hinblick auf die pünktliche Arbeitsaufnahme und deren Verhinderung liegt in solchen Fällen zwar »höhere Gewalt« vor, die indes den Arbeitgeber gesetzlich nicht verpflichtet, den Arbeitsausfall zu bezahlen.

Bestehen andere arbeitsrechtliche Konsequenzen? Der betroffene Arbeitnehmer hat die Firma sofort zu informieren, dass er wegen der z. B. witterungsbedingten Verkehrslage nicht pünktlich sein kann. Der Chef wird häufig schnell arbeitsorganisatorisch reagieren müssen, um einen eventuellen Schaden wegen momentaner Nichtbesetzung eines Arbeitsplatzes so gering wie möglich zu halten.

Da der Arbeitnehmer für die Ausfallzeit keinen Lohn erhält, müsste ihm dieser am Monatsende abgezogen bzw. nicht ausgezahlt werden. Solche Umstände machen sich erfahrungsgemäß die meisten Betriebe nicht mehr. Sie bezahlen die volle, vertraglich vereinbarte Arbeitszeit wie sonst auch und verrechnen die Ausfallzeit mit vorhandenen und ohnehin abzugeltenden Überstunden.

Viele Firmen haben zudem Arbeitszeitkonten oder eine andere Art flexibler Arbeitszeitgestaltung, so dass durch Arbeitszeitverrechnungen, Nacharbeiten oder Verlagerungen die Ausfallzeiten problemlos ausgeglichen werden.

Mit Abmahnungen müssen die Zuspätkommenden hier nicht rechnen, es sei denn, jemand versäumt wiederholt, den Betrieb rechtzeitig zu informieren, dass die Wetterunbilden eine pünktliche Arbeitsaufnahme verhindern.

Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko

Anders ist die Rechtslage, wenn der Arbeitnehmer zur Arbeit erscheint, die Firma aber nicht in der Lage ist, die vereinbarte Tätigkeit oder ggf. auch eine zugewiesene andere Arbeit zu übertragen. Dazu gehört auch, wenn im Betrieb die Heizung ausfällt und an gesundheitlich zumutbare Arbeitsbedingungen nicht zu denken ist. Es kann ebenso sein, dass wegen der Schnee- und Eisglätte Zulieferbetriebe die Firma nicht mit den notwendigen Materialien und Produkten beliefern können.

Treten solche Fälle auf und Beschäftigte sind deshalb gehindert, ihre Arbeiten ordnungsgemäß aufzunehmen und zu verrichten, kommt grundsätzlich § 615 BGB zur Anwendung. Der Arbeitgeber trägt hier nämlich das Betriebsrisiko, was nichts anderes heißt, als dass die Arbeitnehmer trotz Nichtbeschäftigung ihren Lohnanspruch behalten. Diese Zeit darf auch nicht nachgearbeitet werden. Auf den Grund des Leistungshindernisses kommt es dabei nicht an.

Nach § 619 BGB ist es zulässig (im Umkehrschluss), dass der Anspruch aus § 615 BGB auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes abbedungen werden kann.

Das bedeutet: Im Arbeitsvertrag, in Betriebsvereinbarungen oder im Tarifvertrag darf vereinbart werden, dass bei diesbezüglichem Arbeitsausfall eine andere Verrechnung erfolgt. Diese muss aber in der entsprechenden Vereinbarung zweifelsfrei formuliert sein, was der Arbeitgeber zu beweisen hat. So reicht es für diese Fälle nicht, wenn im Arbeitsvertrag steht, dass »nur die Zeit bezahlt wird, in der auch gearbeitet wird«.

Diese Formulierung trifft die Anwendung des § 616 BGB, die bei Freistellungen aus persönlichen Gründen (Hochzeit, Umzug, Todesfall in der Familie u. a.) gilt, sie trifft nicht den § 615 BGB, weil der Arbeitnehmer ja nicht aus persönlichen Gründen zu spät kommt.

Pflicht zur Lohnfortzahlung

Gibt es keine einschlägigen Vereinbarungen, ist der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Eine Festlegung des Betriebes, dass für diese Ausfallzeit bezahlter oder gar unbezahlter Urlaub zu nehmen ist, ist unzulässig.

Oft sind besonders die Arbeitnehmer im Nachteil, weil sie die Regelungen nicht kennen und die Festlegungen befolgen, obwohl sie nicht zulässig sind. Betriebsrat und Gewerkschafter sowie Rechtsanwälte können hier helfen und zumindest die Rechtslage erläutern.

Prof. Dr. JOACHIM MICHAS

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