Beschauliches Fest unter Palmen

Weihnachten im mittelamerikanischen Nicaragua

Ein Typischer Weihnachtsbaum in Nicaragua (links): Weil in dem tropischen Land keine Tannen wachsen, greift man auf die Plastik-Version zurück. ND-Karte: Wolfgang Wegener
Ein Typischer Weihnachtsbaum in Nicaragua (links): Weil in dem tropischen Land keine Tannen wachsen, greift man auf die Plastik-Version zurück. ND-Karte: Wolfgang Wegener

»Tannenbäume« aus Plastik, eine Obstschale mit Mangos und riesigen Papayas, dazu der Duft von gebratenen Kochbananen. Der Dezember in Nicaragua bietet zumindest für Mitteleuropäer eine etwas ungewöhnliche Kulisse. Viele Nicaraguaner verzichten in der Vorweihnachtszeit nicht auf gemütlichen Sandalen, kurze Hosen und kurzärmlige Hemden. Warum auch, die Außentemperatur im letzten Monat des Jahres in Managua, der Hauptstadt des größten zentralamerikanischen Staates, schwankt zwischen 20 und 31 Grad Celsius. Ab und an fällt ein bisschen Regen oder eine Böe weht durch die Straßen Managuas. Ansonsten scheint meistens die Sonne.

Etwa zwei Autostunden von Managua entfernt liegt León. Eine gut asphaltierte Landstraße führt in die Hochburg der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) im Westen des Landes, etwa ein halbe Autostunde vom pazifischen Ozean und den Stränden Poneloya und Las Peñitas entfernt. Die Straße nach León ist viel befahren: Neben klapprigen Schulbussen aus den USA, die zu herkömmlichen Linienbussen umfunktioniert wurden und meist bis zum Anschlag mit Menschen vollgestopft werden, sind immer wieder Lastwagen mit Orangen oder anderen Tropenfrüchten auf der Ladefläche anzutreffen. Auch die in Nicaragua häufig vorkommenden »Microbusse« sind dieser Tage zwischen den beiden Städten unentwegt unterwegs. Ab und an halten sie, um Fahrgäste vom Straßenrand aufzulesen.

Die etwa 150 000 Einwohner der Kolonial- und Universitätsstadt León sind bereits in Weihnachtsstimmung, Geschenke werden gekauft und Häuser und Wohnungen festlich geschmückt. Auch bei Familie López laufen die Vorbereitungen bereits seit Tagen auf Hochtouren. Der Baum wurde aufgestellt und mit Kugeln, elektrischen Kerzen, kleinen Handarbeiten und bunten Ketten behängt. Außerdem hat man kleine Figuren und Gebäude aus Holz und Keramik aufgebaut, die die Stadt Bethlehem und den Stall, in dem das Christkind geboren sein soll, darstellen. Die Familie wohnt nahe des Marktes »la estacion«, der ehemaligen Eisenbahnstation von León, etwa zehn quadras (Blöcke) vom Stadtzentrum entfernt. Drei Generationen leben bei den López unter einem Dach – nicht ungewöhnlich für einen Haushalt in Nicaragua.

Die López sind römisch-katholisch. Sie gehen zu Weihnachten in eine der zahlreichen Kirchen in León, meist in die Kirche San Juan. Mehrmals am Tag wird während der Festtage in der Stadt die Messe gelesen; hat der eine padre (Priester) seine Predigt beendet, schlägt womöglich ein anderer am anderen Ende von Leon gerade die Bibel auf und verkündet die heilige Botschaft. Viele Kirchen wurden von den spanischen Eroberern gebaut und sind heute in einem mehr oder weniger guten Zustand. Die zwischen 1747 und 1860 erbaute Kathedrale vor dem plaza central, dem Zentralplatz, ist das wohl schönste Gotteshaus in León. Von ihrem Dach aus lässt sich die Vulkan-Kette, die sich durch das Land zieht, gut erkennen. Die Einheimischen nennen Nicaragua auch das »Land der Seen und Vulkane«.

Gesetzt ist bei den López die »misa del gallo«, die Mitternachtsmesse am 24. Dezember. Am Heiligen Abend geht die Familie samt Kindern in die gut gefüllte Kirche und lauscht den Worten des Priesters, der wie jedes Jahr die Weihnachtsgeschichte verliest. In der Regel knien sich die Gläubigen nach der Messe vor das Jesus-Kind, eine kleine Keramikfigur, die in der Nähe des Altars steht. »Wer an der misa del gallo nicht teilnehmen kann, besucht eben am nächsten Tag die Kirche«, gibt Yuniet López bereitwillig Auskunft. »Die Kirchen in den einzelnen Stadtteilen entscheiden selbst, um welche Uhrzeit die Messe an diesem Tag gelesen wird.«

Der Katholizismus ist die dominante Religion in dem mittelamerikanischen Land. Etwa 80 Prozent der Nicaraguaner sind römisch-katholisch. Während des Kampfes der FSLN gegen die Diktatur der Familie Somoza in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts spielte die Kirche eine besondere Rolle. Viele Gotteshäuser gewährten den sandinistischen Rebellen Unterschlupf, in ihnen wurden Waffen versteckt und in den Messen gegen die Diktatur gepredigt.

Nicaragua war vor und nach dem Triumph der sandinistischen Revolution 1979 eine Hochburg der sogenannten Theologie der Befreiung. Diese aus Lateinamerika stammende Strömung des Christentums prangerte die eklatante Armut auf dem Subkontinent an und setzte sich vehement für soziale Reformen ein. Sie verstand sich als »Stimme der Armen« und hat mit Ernesto Cardenal in Nicaragua seinen prominentesten Vertreter. Der 85-Jährige gilt als einer der bedeutendsten Dichter des Landes und war nach der Revolution Kulturminister. Noch heute mischt er sich in die Politik seines Landes ein: Cardenal ist ein scharfer Kritiker der aktuellen FSLN-Regierung. Besonders an Präsident Daniel Ortega lässt er kein gutes Haar.

Die Zeiten der Befreiungstheologie sind heute längst vorbei, ihr Einfluss im Land ist kaum noch zu spüren. Seit geraumer Zeit hat die katholische Kirche in Nicaragua mit abnehmenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Hartnäckige Konkurrenz machte sich in jüngster Vergangenheit breit: Protestantische Glaubensgemeinschaften, häufig mit Geldern aus den Vereinigten Staaten großzügig gesponsort, haben im Land großen Zulauf. Etwa 20 Prozent der Nicaraguaner sind zu den Baptisten, Zeugen Jehovas, Mormonen oder anderen Sekten übergetreten. Tendenz steigend.

In den Bussen trifft man gelegentlich auf Missionare dieser Gemeinschaften. Sie betreiben kleine Krankenstationen im Land und geben vor, sich um die Belange der »kleinen Leute« zu kümmern. Dadurch versuchen die evangelikalen Kirchen, mehr mehr Menschen von ihrer Religion zu überzeugen. Zwar haben sie eigene Gotteshäuser gebaut, doch reichen diese offenbar für die zahlreichen Gläubigen nicht aus. Um diesem Mangel Abhilfe zu leisten, werden geräumige Terrassen, überdachte Hinterhöfe und unbenutzte Räume mit Plastikstühlen und einem provisorischen Altar für den Gottesdienst ausgestattet. Auch in León schallt das Wort Gottes aus manchen Wohnhäusern. Mitunter predigen Zeugen Jehovas auf dem Busbahnhof der Stadt – weder Lärm noch der Dreck des Bahnhofes halten sie ab, aus der Bibel vorzutragen.

»In Nicaragua steht am Heiligen Abend bei uns traditionell ›gallina rellena‹ auf dem Tisch«, sagt Yuniet. Dazu wird ein Huhn mit Rosinen, Kartoffeln, Lorbeerblättern, Rotwein, alcaparras (eine olivenähnliche Frucht) und ayote, einem kürbisähnlichen Gemüse, gefüllt und in einem Kochtopf auf kleiner Flamme gegart. In der Regel serviert man dazu Reis und Weißbrot. Im Hause Lopez steht Gabriela, die etwa 55-jährige Hausherrin, stundenlang in der Küche, um das Weihnachtsgericht zuzubereiten. Sie wandelt das traditionelle Rezept allerdings etwas ab: Für »ihr« gallina rellena schneidet sie das Huhn in kleine Stücke, gibt es in den Topf und fügt nach und nach die restlichen Zutaten hinzu. Am Ende entsteht ein Gericht, das ein wenig wie Gulasch aussieht, aber ganz anders schmeckt.

Die Geschenke werden in Nicaragua traditionell am 25. Dezember ausgepackt – und zwar morgens nach dem Aufstehen. Bei Kindern legt man sie entweder neben das Bett oder an dessen Fußende. Für gewöhnlich verbringen Familie López die Feiertage im Kreis der Familie. Tante Theresa mit ihren beiden Kindern Javier und Alexandra schaut hin und wieder auf ein Schwätzchen vorbei. Sie arbeitet in einem öffentlichen Krankenhaus sowie in einer Privatklinik als Labor-Assistentin und muss auch während der Weihnachtszeit ran. Außerdem hat sie einen Kopiershop, wo Javier nach der Schule regelmäßig aushilft.

Der kleine Laden in ihrem Wohnhaus ist über Weihnachten und zwischen den Jahren geschlossen. Im neuen Jahr beginnt dort die Routine von neuem – genau wie für viele Ladenbesitzer bei uns.

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