Zoff um Zwickels Zukunftsmanifest

Vor dem IG-Metall-Kongress in Leipzig ist heftige Kritik an einem Strategiepapier laut geworden

  • Friedrich Siekmeier
  • Lesedauer: 4 Min.
»Abschied von einer umverteilenden Tarifpolitik, von der paritätischen Sozialstaatsfinanzierung und einem demokratischen Sozialstaat, der seine Verpflichtung gegenüber den sozialen Grundrechten höher wertet als soziales Wohlverhalten seiner Bürger« - hart sind die Vorwürfe, die aus dem IG-Metall-Vorstand gegen Klaus Zwickel und dessen Interpretation des »Zukunftsmanifests« erhoben werden.

Eine andere IG Metall« stehe - wenn auch »ein wenig chiffriert« - als »neues strategisches Konzept« hinter dem »Zukunftsmanifest«, kritisieren in einem internen Diskussionsbeitrag Horst Schmitthenner und Hans-Jürgen-Urban das vergangene Woche von Klaus Zwickel vorgelegte Papier mit dem offiziellen Titel »Offensive 2010«. Schmitthenner ist wie Zwickel Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall, Urban Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Vorstand der Gewerkschaft. Die »systematische Abwertung« der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums auch durch die Tarifpolitik führe »zu einer schleichenden Entpolitisierung der Tarifpolitik«, so die Kritiker. Dann könne man Tarifforderungen »gleich durch das Statistische Bundesamt oder die Europäische Zentralbank ausrechnen lassen«. Zwar nennen Schmitthenner und Urban den Adressaten ihrer Kritik nicht namentlich, doch da der Entwurf des »Zukunftsmanifests« aus Zwickels Grundsatzabteilung kommt, scheint klar, gegen wen sich die Kritik richtet.
Eigentlich will die Gewerkschaft das Papier erst auf dem morgen in Leipzig beginnenden »Zukunftskongress« diskutieren. Doch auch der Leiter des IG-Metall-Bezirks Niedersachsen, Hartmut Meine, sah sich schon vorher veranlasst, deutlich »gegen eine Neuausrichtung der Tarifpolitik« Stellung zu beziehen. Meine lehnt die im Papier vorgebrachte Idee ab, in Tarifverträgen unterschiedliche Leistungen je nach betrieblichem Ertrag zu ermöglichen, die dann in den Betrieben erst verbindlich festgeschrieben werden. Solche Vorschläge für »gespaltene Tarifverträge« gingen nicht nur in die falsche Richtung, sondern widersprächen auch eindeutig der Meinung der IG-Metall-Mitglieder.
Denn bei einer umfangreichen Befragung gerade im Rahmen der schon länger laufenden gewerkschaftlichen »Zukunftsdebatte« hätten sich 67 Prozent der Befragten gegen gespaltene Tarifverträge ausgesprochen, ruft Meine seinem Gewerkschaftsvorsitzenden in Erinnerung. Auch Armin Schildt, Leiter der Tarifabteilung der IG Metall, hat sich schon am vergangenen Samstag auf einer Veranstaltung in Frankfurt (Main) eindeutig gegen die Idee ertragsabhängiger Differenzierung in Tarifverträgen ausgesprochen. Schildt gehört im IGM-Vorstand in den Zuständigkeitsbereich des Zweiten Vorsitzenden Jürgen Peters, der sich im Vorfeld noch nicht selbst zum »Zukunftsmanifest« geäußert hat. Peters allerdings ist der Vorgänger Hartmut Meines als Bezirksleiter in Niedersachsen - eines Bezirks, der sich schon seit Jahren durch große tarifpolitische Geschlossenheit auszeichnet.
Zwar trägt Zwickels 58-Seiten-Papier auch den Untertitel »Diskussionspapier«, doch Auswahl der Referenten und Ablauf des »Zukunftskongresses« verhinderten eine wirklich Diskussion, ist nicht nur aus der Frankfurter IG-Metall-Zentrale zu hören. Die linken Wirtschaftswissenschaftler um die Memorandum-Gruppe und deren Sprecher Rudolf Hickel zum Beispiel seien systematisch ausgegrenzt worden, »ein Skandal«, wie ein führende IG-Metall-Funktionär kritisiert. Allenfalls in einem der zehn Leipziger Foren könnten sich Kritiker artikulieren. Doch die Plenumsdebatten sollen vor allem die von Schmitthenner und Urban attackierten Vertreter einer Sozialdemokratie der »neuen Mitte« dominieren: Da darf dann zum Abschluss Kanzler Gerhard Schröder mit seinem wissenschaftlichen Einflüsterer Oskar Negt diskutieren, abgerundet durch Fritz Scharpf, der die Vorstellung eines »Sozialismus in einer Klasse« entwickelte.
Dahinter verbirgt sich in Wirklichkeit »eine weitgehende Umstellung der heutigen Sozialstaatsfinanzierung auf Lohn- und Verbrauchssteuern, die von den Arbeitnehmern entweder als Lohnempfänger oder als Konsumenten aufzubringen sind«, so Schmitthenner und Urban. In ihrem Fazit greifen die Kritiker die kommende neue Strategie als »nicht rot, sondern blutleer« an und vermissen eine »Aufbruchstimmung« für die Zukunft. Deshalb ermutigen sie ihre Gewerkschaft, »einen eigenen Weg in die Zukunft zu gehen« - statt »Abschied von der Arbeiterbewegung zu nehmen«.


Der Kongress

- Der Zukunftskongress, der vom 13. bis 15. Juni 2002 in Leipzig stattfindet, soll die zweite Phase der Zukunftsdebatte der IG Metall abschließen. Rund 800 Menschen aus der Gewerkschaft, aus Gesellschaft, Wissenschaft und Parteien diskutieren dann den Entwurf des Zukunftsmanifests »Offensive 2010 - Chancen für eine bessere Zukunft«. Dieser enthält Vorschläge zur Zukunft der Arbeit, der Gleichstellung der Geschlechter, zur Reform des Sozialstaates sowie zur Neuorientierung der IG Metall. Es werden allerdings weder Anträge beraten noch Beschlüsse gefasst.

- Strukturiert werden soll die Diskussion durch fünf Leitthemen: Industrielle Arbeit sichern; Arbeit und Leben verknüpfen; Globalisierung gestalten; Solidarität organisieren; Gewerkschaften erneuern.

- Kritiker, zu denen namhafte IG-Metall-Funktionäre und Vertreter der Gewerkschaftslinken gehören, befürchten, der Zukunftskongress könne jede linke Akzentsetzung verhindern und lediglich der Selbstdarstellung des von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel vorgelegten Manifestentwurfes dienen.

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