Udo und die Ostberlinerin

Lindenberg-Musical »Hinterm Horizont« am Potsdamer Platz in Berlin

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Anfang ist Emotion pur. Das »Mädchen aus Ostberlin« knallt aus den Lautsprechern, dazu laufen auf bühnenbreiter Leinwand historische Filmaufnahmen – Momente, die tief im kollektiven deutsch-deutschen Gedächtnis verankert sind: DDR-Arbeiter beim Bau der Berliner Mauer; der junge NVA-Soldat, der über den noch niedrigen Stacheldraht in den Westen springt; weinende Menschen. Schemenhaft taucht irgendwann im Hintergrund ein riesiger Hut auf, obendrauf der singende Lindenberg-Darsteller. Dem Hamburger Sänger und seinem Ostberliner Mädchen ist es schließlich gewidmet, das Udo-Lindenberg-Musical »Hinterm Horizont«, das vorgestern im Theater am Potsdamer Platz Premiere feierte.

Viel war vorab geschrieben worden über die Show, bei der sich Dichtung und Wahrheit vermischen sollten zu einer bewegenden Geschichte, in der es um eine verbotene Liebe geht zwischen dem cool-lässigen Rocksänger aus dem Westen und einem Mädchen aus Pankow, vor allem aber um die deutsch-deutsche Teilung, um den Kontrast zwischen Freiheitsdrang und Alltagsleben im Plattenbau.

Das darzustellen, ist Regisseur Ulrich Waller, Intendant des St. Pauli Theaters, und Autor Thomas Brussig (»Sonnenallee«) im Ganzen gut gelungen, trotz einiger Vereinfachungen, die man aber im Genre Musical getrost verzeihen kann. Die Hauptrolle in dem aufwändig gestalteten Stück spielt, wie sollte es anders sein, die Musik von Udo Lindenberg und seinem Panik-Orchester. 30 Klassiker werden intoniert, von »Odyssee« und »Reeperbahn« bis »Andrea Doria« und dem Titelsong »Hinterm Horizont«, und obwohl alles geschickt ausgedacht ist, hangelt sich die Inszenierung dann eben doch an diesen Songs entlang.

Immerhin, der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte – Lindenbergs Auftritt 1983 im Palast der Republik – hat tatsächlich stattgefunden, als Konzert vor geladenen Claqueuren der FDJ – während draußen die wahren Fans warteten. Im Stück funkt es zwischen dem »mittelmäßigen Schlagersänger Udo L.« (Stasi-Akte) und der hübschen FDJ-Sängerin Jessy, die beiden verlieben sich, doch die politische Situation macht dem Paar einen Strich durch die Rechnung. Jessy gerät ins Visier der Stasi, ihr Bruder wird verhaftet. Zwar dürfen Udo und Jessy noch eine Liebesnacht in Moskau verbringen, danach wird es für die junge Frau jedoch schlimm. Unter Druck geht sie eine Ehe ein, die sie nicht will, und selbst der Fall der Mauer 1989 führt nicht zum Happy End.

Es ist auf jeden Fall ordentliche Arbeit, dieses Musical, mit einem toll gemachten Bühnenbild (Raimund Bauer), über dem ein gigantischer, drei Tonnen schwerer Hut aus Stahl und Kunststoff schwebt. Moderne Technik lässt die »Mauer« auf- und abfahren oder verwandelt sie in eine hyperbreite oder dann mehrere geteilte Leinwände, durch Drehmechanismen verschwinden und erscheinen ganze Szenerien, wie die Plattenbau-Wohnung von Jessys Familie, einen MfS-Sitzungssaal, das Foyer des Hotel Atlantic in Hamburg.

Auch die Darsteller spielen, tanzen und singen mit Talent und Herzblut, allen voran Josephine Busch als junge und Anika Mauer als ältere Jessy sowie Serkan Kaya als Udo Lindenberg, der dem Original zwar nicht besonders ähnlich sieht, die nuschelnde Sprache und den lässigen Stolpergang aber wunderbar hinbekommt. Wobei Patrick Stamme als irrer Doppelgänger, der von der Stasi als Udo-Double gecastet wird, Gesang und Auftreten mindestens ebenso gut hinbekommt.

Doch trotz schöner Details, trotz etlicher witziger Szenen mit dem typischen »Brussig«-Humor – so richtig springt der Funke nicht über. Schuld daran sind die vielen Klein-Klein-Szenen; es mangelt an großen Tanz- und Musikauftritten – und dann ist der Reeperbahn-Barde mit der Sonnenbrille vielleicht auch nicht der Mann, dem man eine leidenschaftliche Liebesgeschichte zutraut ... Oder?

Mo, Mi und Do 19 Uhr, Fr 20 Uhr, Sa 15.30 und 20 Uhr, So 14.30 und 19 Uhr:
Theater am Potsdamer Platz, Karten unter 01805/4444

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