Werbung

Polnischer Krieg um Smolensker Wahrheit

Kaczynski will bis zum 21. Oktober kämpfen

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Die »Sprache des Hasses« dominiert derzeit die öffentliche Auseinandersetzung in Polen. Noch immer wird um die Schuld an jenem Flugzeugabsturz gestritten, dem am 10. April 2010 bei Smolensk Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Personen zum Opfer fielen.

»In Anbetracht dramatischer Auswüchse im öffentlichen Disput Polens sprechen wir uns für einen Dialog aus, der die Würde, die Werte und das Ansehen der jeweils anderen Seite nicht beeinträchtigt.« Mit diesen Worten wandten sich bekannte Wissenschaftler, Künstler und Organisationsvertreter an die Öffentlichkeit. Die Gruppe namens »Bürgerverständigung« (Zmowa Obywatelska) rief per Internet dazu auf, angesichts der weit verbreiteten Intoleranz nicht länger zu schweigen. Eine sachliche Auseinandersetzung über gesellschaftliche Probleme sei das Gebot der Stunde.

Ebenfalls in der Netzwelt initiierte eine andere Bürgergruppe die Aktion »Bitte einen Tag ohne Katyn, Smolensk, Katastrophe... im Fernsehen und den anderen Medien!« Der hitzige Streit um die Ursachen des Flugzeugabsturzes bei Smolensk sei auf die Dauer nicht auszuhalten. Das Anliegen wurde in den ersten drei Tagen von mehr als 80 000 überwiegend jungen Menschen unterstützt.

Derart edle, aber naive Initiativen sind offensichtlich durch die Sejmdebatte in der vergangenen Woche ausgelöst worden, in der Regierungschef Donald Tusk und Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski schonungslos miteinander ins Gericht gingen. Ob sich dadurch der »Smolensker Nebel« lichtet, der Polen dicht einhüllt, ist leider fraglich. Die nackte Wahrheit scheint sich nicht durchsetzen zu können. Als einziger unter den fast 100 Rednern jener Debatte im Sejm hatte sie der unabhängige Linke Marek Borowski ausgesprochen: Die Maschine hätte seinerzeit nicht landen dürfen. Auf die Piloten wurde jedoch Druck ausgeübt, denn man hatte es eilig. Kämpfen muss man folglich nicht mit Russland, sondern mit der eigenen Unverantwortlichkeit und Stupidität.

Wenigstens wies auch Staatspräsident Bronislaw Komorowski am Montag auf die »Unzulässigkeit der Landung« hin.

Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mobilisierte derweil auf einer Tagung ihres Politischen Rates ihre 8-Millionen-Wählerschaft – so viele Stimmen erhielt Jaroslaw Kaczynski bei der verlorenen Präsidentenwahl im Juli – zum Ermattungskrieg gegen die regierende Bürgerplattform (PO). Bis zu den Parlamentswahlen am 21. Oktober will Kaczynski um die »Smolensker Wahrheit« kämpfen. Die besteht für ihn darin, dass sein Zwillingsbruder Lech einem Komplott Donald Tusks mit dem russischen Premier Putin zum Opfer gefallen. Für den 10. April, den Jahrestag des Absturzes, will der PiS-Führer seine Anhängerschaft, darunter die »Solidarnosc«, zu einer patriotischen Demonstration vor dem Wawel in Kraków zusammentrommeln.

Die PO, die gerade ihr zehnjähriges Bestehen feiert, verhält sich indessen wie eine Sphinx. Tusk tut so, als hätten er und seine Partei nach dem 10. April die Demokratie, ja, die verfassungsmäßige Ordnung gerettet. Als hätte dem Staat damals der Zusammenbruch aller Institutionen gedroht, der nur dank der Entschlossenheit seiner Partei verhindert worden wäre. Wie er auf diese Idee kommt, ist schleierhaft. Jedenfalls – so hört es sich an – hält er seine Partei für den wahren Garanten der Demokratie in Polen. Sonst herrscht im Lande ein normaler Winter.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal