Liebesentzug für Rechtsregierung

Großbritannien: Selbst rechte Medien gehen mit Cameron hart ins Gericht

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Fast drei Millionen Arbeitslose, eine schrumpfende Volkswirtschaft, unerwartet hohe Inflationszahlen, fallende Umfragewerte: die britische Rechtskoalition von Konservativen und Liberalen kränkelt – und steht vor weiteren Bewährungsproben.

Im Mai vergangenen Jahres schmeichelten sich noch Premier David Cameron und sein Stellvertreter Nick Clegg im Rosengarten des Amtssitzes in der Londoner Downing Street, überboten einander in Harmoniebekundungen, wollten Großbritannien auf einen Schlag sanieren und erneuern. Die Zeitungen plapperten dem politischen Liebespaar alles nach: Labour habe durch unverantwortliche Ausgabenfreudigkeit die Macht mit Recht verspielt, jetzt tue eisernes Sparen not.

Der Winter kam und die wirtschaftliche und politische Lage hat sich gewandelt – zum Schlechten. Labour hinterließ anständige Wachstumszahlen; die von den neuen Regierenden beklagten Defizite stammten vor allem aus der Rettung von Pleitebanken und ihrer (konservativen) Hausherren. Diese zeigen weder Einsicht noch Reue: millionenhohe Prämien an Investmentbanker verärgern das Land.

Im Januar fiel das Bruttoinlandsprodukt zum ersten Mal seit Jahren: Der Schnee vom Dezember war laut Finanzminister George Osborne daran schuld. Die Anfang des Jahres in Kraft getretene Mehrwertsteuererhöhung auf 20 Prozent dürfte Preissteigerungen und weiter sinkende Kaufkraft mit sich bringen, zumal die Gehälter im öffentlichen Dienst eingefroren worden sind. Die dortigen Kürzungen würden mehr Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft ermöglichen, tönen die Tories. Acht Prozent Arbeitslosigkeit, über 20 Prozent arbeitslose Jugendliche, 3,7 Prozent höhere Durchschnittspreise – die Hiobsbotschaften häufen sich. Dass unter diesen Umständen Wirtschaftskraft und Regierungseinnahmen steigen werden, kann nicht einmal der halbgebildete Ökonom Osborne hoffen, der von der Eliteschule Eton und den aristokratischen Rüpeln des exklusiven Oxforder Bullingdon-Clubs mehr versteht als von den Sorgen des kleinen Mannes.

Sogar im konservativen Blätterwald rauscht es nun unheilvoll. Der rechte »Evening Standard« klagt beispielsweise, die Wähler hätten für solche Kürzungen nicht gestimmt. Kinderkrippen schließen, die Schülerbeihilfe wird gestrichen, Altenbetreuer und Bibliothekare verlieren den Job. Die Tories versprachen einen weniger bürokratischen Staat, behauptet das Blatt, die Bürger bekämen jedoch einfach weniger Staat. Nach Meinung Camerons sollten jetzt karitative Gruppen die Rolle der Entlassenen übernehmen. Doch gerade die Beihilfen der finanziell ausgetrockneten Kommunen an solche Organisationen werden ebenfalls gestrichen. In Großbritannien regiert gegenwärtig überall der Rotstift.

Aber keine Angst: Die Regierung hat schon originelle Ideen anzubieten. Die Tories preisen momentan die geplante Privatisierung der Staatsforsten; um die Volksgesundheit besorgte Wanderer verurteilen dies als Schnapsidee. Eine weitere Reorganisierung des von den Steuerzahlern finanzierten nationalen Gesundheitsdienstes soll Ärzte für den Bezug von Gesundheitsleistungen verantwortlich machen: Private Krankenhausbetreiber aus den USA freuen sich auf satte Gewinne. Und die nach rechts gerutschten Liberalen freuen sich auf eine bevorstehende Volksabstimmung, die das traditionelle britische Mehrheitswahlrecht zugunsten einer abgeschwächten Form des Verhältniswahlrechts ändern soll. Das soll der Partei helfen, die nächste Wahl zu bestehen, denn die stattliche liberale Wählerzahl von 2010 hat sich auf nun acht Prozent weniger als halbiert. Labour unter dem neuen Parteichef Ed Miliband führt hingegen mit 44 Prozent vor den Konservativen mit 39. Noch lassen sich die Blaugelben von all diesen Problemen nicht beirren: Wie lange noch?

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