Medizin nach Maß

Therapien passend zu den Genen – eine Idee auf dem Prüfstand

  • Anja Laabs
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es gibt kein Medikament ohne Nebenwirkungen. Insofern ist es für die Patientensicherheit sinnvoll, die Wirksamkeit von Medikamenten zur optimieren«, so Alexander Schwerin, Biologe und Wissenschaftshistoriker an der TU Braunschweig und Vorstandsmitglied des Vereins Gen-ethisches Netzwerk. »Die Frage ist, ob und wie die Wirksamkeit optimiert werden kann.« Personalisierte Medizin soll das leisten. Kritiker halten diese Vision für überzogen und sogar gefährlich. Sie glauben, das Gesundheitswesen werde damit noch teurer, der Datenschutz sei ungelöst und mancher könnte versucht sein, Rassismus »wissenschaftlich« zu begründen.

In dem Projekt des Instituts für Gründung und Innovation (BIEM CEIP) der Universität Potsdam soll ein tragfähiges Geschäftsmodell für Pharmaunternehmen gefunden werden. Der Produktverkauf allein lohnt sich oft nicht mehr. Alternative wäre ein »integriertes Produkt-Dienstleistungsangebot mit Gendiagnose und darauf abgestimmter Therapie«.

Mit Hilfe der personalisierten Medizin könnten Menschen unter Berücksichtigung ihrer biologischen und genetischen Besonderheiten sowie der Umwelteinflüsse mit Medikamenten behandelt werden. Schwerin bemängelt, dass sich die personalisierte Medizin zu sehr auf rein genetische Unterschiede konzentriere. »Hier gibt es Vorannahmen, die die Forschung in anderen Bereichen von vornherein ausschließt oder erschwert.«

Genetische Unterschiede zwischen den Menschen, so die Idee der Pharmakogenetik, könnten die Wirksamkeit von Arzneimitteln verändern. Also in Zukunft für jeden Patienten die richtige Medizin in der richtigen Dosis?

In der Fachzeitschrift »Ethik in der Medizin« hieß es bereits 2003, dass der Realitätsgehalt dieser Vision und die Funktion »dieses höchst suggestiven Leitbildes von einer maßgeschneiderten Medizin« hinterfragt werden müsse.

Regine Kollek vom Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt (FSP BIOGUM/ FG Medizin) der Universität Hamburg, fasst die aktuelle Diskussion so zusammen: »Das Prinzip der personalisierten Medizin trifft in einfacher und nutzbarer Form nur in Einzelfällen zu. Auch werden durch sie die Menschen nicht persönlicher und individueller behandelt.« Eher gehe es darum, die Menschen in genetische Gruppen einzuteilen – je nach Wirkmechanismus der Medikamente und genetischer Konstitution. Kollek weist darauf hin, dass diese Methode heute bereits erfolgreich erprobt wird, beispielsweise in der Brustkrebsdiagnostik. »Mit Hilfe sogenannter Genchips können Tumoren in mehr oder weniger aggressive eingeteilt werden. Dadurch sind weit mehr als nur zwei Tumorgruppen identifizierbar.« Klinisch sei dieses Verfahren noch nicht etabliert. Tumorklassifizierung helfe zusammen mit den genetischen Eigenschaften des Patienten bei der Entscheidung über die Art der Therapie. Regine Kollek: »Für dieses Verfahren sind also keinen neuen Medikamente erforderlich, lediglich ihr Einsatz (bzw. die Dosis) verändert sich. Unter Umständen könnte so auch von einer Chemotherapie abgesehen werden.«

Das Potsdamer Projekt wird zu 95 Prozent aus Drittmitteln finanziert – u.a. von Unternehmen der Pharmaindustrie und Biotechnologie. »Die personalisierte Medizin«, so Projektleiterin Dana Mietzner, »gilt als zukunftsträchtige Innovation«, die der Gesundheitsbranche zum Wachstum verhelfe und die medizinische Versorgung verbessere. Schwerpunkt seien die Dienstleistungen. Mietzner: »Mehr als in anderen Bereichen sind in der personalisierten Medizin Dienstleistungen nötig. Denn die Diagnostik spiele hier eine wesentlich größere Rolle als die Therapie.«

Unklar ist, ob die Pharmakogenetik das Gesundheitswesen verteuert. Laut Pharmaindustrie sinken die Kosten, weil sich die Gesundheit der Menschen bei längerer Lebenserwartung verbessert. Die Versicherungswirtschaft geht hingegen von einem Kostenanstieg aus. Mehr Lebensjahre bedeuten mehr Krankheiten und chronische Beschwerden. Regine Kollek erwartet ebenfalls einen Kostenanstieg. Die personalisierte Medizin stecke in den »Kinderschuhen«. »In den meisten Fällen sind die Wirkungszusammenhänge bei Medikamenten so komplex, dass eine unüberschaubare Menge an Diagnostik nötig wäre.« Die Genetik allein erkläre die Wirkungsvielfalt nicht. Kollek schätzt, dass gerade einmal 5 bis 10 Prozent der Menschen einer Patientengruppe davon profitieren würden.

Das Interesse der Pharmafirmen ist groß. Die Medikamentenentwicklung wurde in den letzten Jahren immer teurer, die Zahl der neu zugelassenen Produkte hingegen stagniert. Spezifischere Medikamente für definierte Patientengruppen sollen den Absatz ankurbeln.

Grundlage der Patienten-Gruppierung sind genetische Übereinstimmungen. Als vor einigen Jahren in den USA das Herzmedikament BiDil für Afroamerikaner auf den Markt kam, schien es ein »rassisch wirksames Medikament« zu sein. Doch von Rassismus im Zusammenhang mit der Pharmakogenetik will Regine Kollek nicht sprechen. »Die Existenz rassespezifischer Gene hat sich nicht bestätigt und ließe keine Individualisierung zu. Nichtsdestotrotz gibt es Krankheiten aufgrund genetischer Veränderungen.«

Um die pharmakogenetische Wirksamkeit von Medikamenten nachzuweisen, müssen viele Menschen untersucht und deren Daten gesammelt werden. Diese betreffen den Lebensstil, die Gesundheit und Genetik. »Daraus resultiert ein bis heute ungeklärtes Datenschutzproblem«, gibt Kollek zu bedenken.

Dana Mietzner von der Universität Potsdam sieht diese Probleme gelassen. Ihr Institut habe die Forschungsgelder bekommen, weil »die personalisierte Medizin von besonderem Interesse für das Land ist«. Das Institut befasse sich damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Im April 2013 soll das Projekt abgeschlossen sein. »Bis dahin wollen wir Tools entwickeln, die die Wirtschaft stärken und in Unternehmen einfließen. Wenn die Gesellschaft gegen die personalisierte Medizin ist, werden wir Vorschläge erarbeiten, wie sie unter anderen Voraussetzungen durchgesetzt werden kann.« Dazu Alexander Schwerin: »Ich frage mich, ob dieses universitäre Forschungsvorhaben zur Kommerzialisierung nun das Gerüst oder der Kern der personalisierten Medizin ist.«

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