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»Willkommen im freien Ägypten«

Proteste der Regierungsgegner in Ägypten gehen trotz kleiner Zugeständnisse weiter / Die Opposition ist freundlich und fleißig

  • Karin Leukefeld, Kairo
  • Lesedauer: 4 Min.
Die »Republik des freien Ägypten« fand am 15.Tag ihres Bestehens landesweit wieder Zulauf von Millionen. Auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo, dem Platz der Befreiung, fanden sich schon in den Nachmittagsstunden wieder Hunderttausende zusammen, die Zugangsstraßen zum Platz und die Kasr-al-Nil-Brücke waren bis in die Abendstunden von Menschenmassen verstopft. Auch in Alexandria, Port Said, Suez, Ismailiya und anderen Städten gingen die Menschen auf die Straße. Zwischenfälle wurden nicht bekannt.

»Herzlich willkommen in unserer freien Republik Ägypten«, meint der 21jährige Mina Fakury. Er steht auf dem Tahrir-Platz und hält ein Schild in die Höhe, das sei sein neuer Ausweis. Darauf stehen Name, Staatsbürgerschaft und Religion, aber auch: »Geburtsort: Tahrir-Platz; Geburtstag: 25. Januar 2011; Beruf: Revolutionär«. Der junge Mann strahlt. »Glauben Sie nicht, was das Regime Ihnen und dem Ausland erzählt« sagt er. »Hier ist Ägypten, niemals werden wir werden wie Iran.«

Offenbar um den Demonstranten entgegenzukommen, ließ Präsident Hosni Mubarak die Gründung eines Komitees bekannt geben, die sofort die Verfassung überarbeiten und erste Ergebnisse bis Anfang März vorlegen soll, erklärte Vizepräsident Omar Suleiman am Montagmittag in Kairo. Die Gewalt gegen die Demonstranten in den vergangenen zwei Wochen werde untersucht. Außerdem wolle das Regime den begonnenen Dialog mit der Opposition fortsetzen.

»Das ist die Antwort auf unsere Eingabe«, freut sich der Vorsitzende des unabhängigen Ägyptischen Menschenrechtsrates, Hafez Abu Seada im Gespräch mit der Autorin in Kairo. Die vorgeschlagenen Mitglieder in dem Komitee seien eine »ausgezeichnete Wahl«, drei von ihnen gehörten dem Menschenrechtszentrum an und seien bekannt für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte. Dennoch reichen dem engagierten Rechtsanwalt Abu Seada, der mehr als einmal verhaftet wurde, die Zugeständnisse nicht. »Mit einem gefälschten und korrupten Parlament, dazu zählen beide Kammern, und mit den Politikern des korrupten Regimes, dazu zählt auch Omar Suleiman, wird es einen Wechsel nicht geben.« Sie sollten einfach zurücktreten und Ägypten den Ägyptern überlassen, die wüssten schon, wie sie ihr Land wieder aufbauen könnten.

Grundsätzlich fordert die Demokratiebewegung eine sofortige Änderung von fünf Artikeln der aktuellen Verfassung, die seit mehr als 30 Jahren den Ausnahmezustand legalisiert. Paragraph 76 schränkt das Recht der Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen ein, Paragraph 77 regelt die Amtszeit, für die es bisher kein Zeitlimit gab. Paragraph 88 regelt die unabhängige Wahlbeobachtung durch Richter, und Paragraph 179 ist ein Anti-Terror-Gesetz, das aktuell dazu dient, die Menschenrechte, die den Ägyptern laut Verfassung zustehen, willkürlich einzuschränken.

In den Vorschlägen der Opposition werden neue Regeln für die Präsidentschaftskandidatur gefordert (§76), die Amtszeit eines Präsidenten wird auf maximal acht Jahre oder eine Wiederwahl beschränkt (§77). Bei zukünftigen Wahlen muss die Kontrolle von allen Wahlurnen durch einen Richter gewährleistet werden (§88), das Anti-Terror-Gesetz (§179), das erst 2007 verschärft worden war, soll gestrichen werden. Die Kontrolle des Parlaments und seiner Mitglieder (§93) soll zukünftig ausschließlich beim obersten Gerichtshof liegen, »der einzigen staatlichen Institution, der die Ägypter vertrauen«, sagt Abu Seada.

Als Vorbild für eine neue Verfassung orientiere man sich an der französischen Verfassung, fügt die angehende Rechtsanwältin May al-Sheich hinzu, die maßgeblich an den Vorschlägen und Formulierungen mitgearbeitet hat. Eine Woche lang hatte der Menschenrechtsverein ihr freigegeben, Tag und Nacht verbrachte sie auf dem Tahrir-Platz mit ihren Freunden und Kollegen bei der Organisation der Proteste.

Als »Vertreterin der Jugend« habe sie auch eine Einladung zu den »Gesprächen mit dem Vizepräsidenten« erhalten, erzählt die junge Frau, die zu legeren Jeans und Pullover ein schickes, farbiges Kopftuch trägt. Man habe ihr und den anderen »Vertretern der Jugend« einen Katalog von Vereinbarungen vorgelegt, die sie unterzeichnen sollte, bevor das Treffen überhaupt begonnen habe, sagt sie. »Natürlich bin ich nicht hingegangen«, sagt sie selbstbewusst. »Nur wenn das Regime abtritt, ist ein Neuanfang möglich.«

In den Straßen zur Kasr-al-Nil-Brücke staut sich derweil der Verkehr hinter den Menschenmassen, die alle den Tahrir-Platz erreichen wollen, um die Proteste zu unterstützen und Wael Ghonim zu hören, den Vertreter von Google in Ägypten, den das Regime nach zwölf Tagen Haft am Sonntagabend frei gelassen hatte. Ghonim wird von vielen als Held gesehen, nicht zuletzt weil er die Webseite »Wir sind alle Khaled Said« ins Netz gestellt und Proteste gegen Folter und Misshandlung in Polizeihaft mit organisiert hatte. Nicht er sei der Held, sondern »die vielen Demonstranten«, sagte Ghonim nach seiner Freilassung.

Der Taxifahrer lauscht im Radio den Berichten vom Tahrir-Platz, aus Alexandria und anderen Städten, selbst der Ägyptische Rundfunk kann die Proteste nicht länger ignorieren. Als Vizepräsident Suleiman die Anordnungen des Präsidenten verkündet, stellt der Fahrer das Radio lauter.

Er zündet sich eine Zigarette an und seufzt angesichts der Menschenmassen, die zum Tahrir-Platz strömen erleichtert: »Hosni ist am Ende.«

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