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Straf- und Prozessrecht: Anrechnung von Freiheitsentzug
Im § 341 StPO/DDR war klar und ausnahmslos bestimmt, dass die gesamte Untersuchungshaft beim Vollzug der Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Im § 51 des bundesdeutschen Strafgesetzbuches findet sich eine ähnliche, aber differenziertere Regelung.
Spielraum umfasst Geld- und Freiheitsstrafe
Der Absatz 1 dieser Vorschrift lautet: »Hat der Verurteilte aus Anlass einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, dass die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.«
Wir erkennen also gewichtige Unterschiede:
Zunächst wird die Anrechnung nur unter der Voraussetzung vorgenommen, dass es dieselbe Tat gewesen sein muss, die zum einen Gegenstand des Verfahrenes ist oder war, und dass die Untersuchungshaft (oder eine andere Freiheitsentziehung) aus Anlass eben dieser Tat angeordnet worden war.
Dabei darf betont werden, dass der Begriff der »Tat« nicht so eng gefasst wird; es können auch zusammenhängende Delikte berücksichtigt werden. Auch wird berücksichtigt, wenn wegen einer (mit der relevanten Tat zusammenhängenden) anderen Tat die Strafverfolgung in dieser oder jener Weise erledigt ist, sei es durch Einstellung des Verfahrens oder durch Freispruch.
Die Untersuchungshaft, die angerechnet werden soll, muss eine »richtige« tatsächlich vollzogene Untersuchungshaft gewesen sein; eine etwaige Unterbrechung derselben oder auch eine Aussetzung des Vollzuges der Untersuchungshaft zählen selbstverständlich nicht. Anzurechnen ist die gesamte Untersuchungshaft, die bis zur Rechtskraft des Urteils erlitten wurde.
Die Anrechnung unterbleibt bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Wichtig ist, dass nach der vorgenannten Vorschrift eine Anrechnung erlittener Untersuchungshaft auch auf Geldstrafe möglich ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach § 40 StGB die Geldstrafe in Tagessätzen verhängt wird. Daher ist es einfach, die im Urteil ausgesprochene Anzahl der Tagessätze als entsprechende Tage »erlittenen Freiheitsentzuges« anzurechnen. Im Abs. 4 dieses § 51 StGB ist festgelegt, dass bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz entspricht.
Angerechnet wird die tatsächliche Anzahl der Tage, während derer sich der Betreffende in Untersuchungshaft befand. Ist die ausgesprochene Freiheitsstrafe höher, hat der Verurteilte nur noch den »Rest abzusitzen«.
Keine Entschädigung für »Unschuldige«
Sollte jedoch die vom Gericht für angemessen gehaltene Freiheitsstrafe kürzer sein als die bereits erlittene Untersuchungshaft, dann wird dieses »mehr« natürlich nicht irgendwie »herausgegeben«. Diese Zeit hat der Betreffende dann »umsonst gesessen«.
Ob es in einem solchen Fall nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) eine Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft geben könnte, ist zweifelhaft. In der Praxis dürften die Gerichte in solchem Fall in der Regel auf eine Freiheitsstrafe erkennen, die mit der erlittenen Untersuchungshaft »verbüßt« ist, so dass sich die Sache erledigt hat.
Nicht übersehen werden darf, dass die vorgenannte Regelung dem Gericht erlaubt, die Anrechnung der Untersuchungshaft ganz oder zum Teil zu versagen. Hier hat das Gericht einen bestimmten Spielraum; folgerichtig gibt es dazu eine differenzierte Rechtsprechung.
Böswillige Verschleppung des Verfahrens
Geklärt dürfte sein, dass nur ein Verhalten im Verfahren in Betracht kommt, das die Anrechnung ungerechtfertigt macht; regelmäßig wird dabei vornehmlich an eine »böswillige Verschleppung des Verfahrens« zu denken sein, etwa um sich »ungerechtfertigte Vorteile« in der Untersuchungshaft gegenüber der Strafhaft zu verschaffen; als Beispiele für eine Versagung der Anrechnung wird auch die »Absetzung ins Ausland« angeführt.
Kein Ablehnungsgrund sei, dass der Verurteilte vorbestraft ist, dass er nicht zur Aufklärung beitrug, dass das Rechtsmittel des Verurteilten aussichtslos gewesen sei und Ähnliches.
Die Frage, ob eine böswillige Verschleppung der Untersuchungshaft angenommen werden kann oder ob sonst ein Grund vorliegt, der gegen eine Anrechnung spricht, ist natürlich eine Ermessensfrage und hängt praktisch von der Deutung des Gerichts ab. Daher wird diese Regelung der Möglichkeit der Versagung der Anrechnung als problematisch anzusehen sein.
In Betracht kommt nach § 51 StGB nicht nur die Anrechnung der Untersuchungshaft, sondern auch eine Anrechnung auch anderer Arten von Freiheitsentziehung, so insbesondere bei einstweiliger Unterbringung des Beschuldigten zur Beobachtung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus gem. § 81 StP0 oder gem. § 126 a StPO im Fall einer einstweiligen Unterbringung auch in einer Entziehungsanstalt, bei vorläufiger Festnahme gem. § 127 StPO, den Fällen der neu eingeführten Hauptverhandlungshaft gem. §127 b StPO (im beschleunigten Verfahren oder sonst, wenn zu besorgen ist, dass der Angeschuldigte nicht zu Hauptverhandlung erscheint), bei Auslieferungs- oder Abschiebungshaft.
Bei den beiden letztgenannten Formen von Freiheitsentzug geht es um solche Haft, die von bundesdeutschen Behörden gegenüber Ausländern im Hinblick auf deren Auslieferung oder Abschiebung angeordnet wurde, solange sie ihre Strafen noch in der Bundesrepublik verbüßen. Diese Anrechnung gilt übrigens auch dann, wenn es aus bestimmten Gründen letztlich nicht zur Auslieferung oder Abschiebung kommt.
Verbot einer Doppelbestrafung
Das Gegenstück hierzu ist die Regelung im Abs. 3 des § 51 StGB.
Da das Verbot einer Doppelbestrafung (»ne bis in idem«), das im Artikel 103 Abs. 3 GG verankert ist, nur im Inland gilt, wird der praktische Vollzug einer Doppelbestrafung durch diese Regelung vermieden. Es gilt das Anrechnungsprinzip.
Bei der praktischen Anwendung dieses Anrechnungsprinzips ist die Regelung des Abs. 4 Satz 2 zu beachten. Das Gericht entscheidet nämlich nach seinem Ermessen über den Anrechnungsmaßstab. Wurde die Strafe z.B. in der Türkei, in Jugoslawien oder in Spanien oder einem anderen Land verfolgt, in dem die Haftbedingungen für besonders schwer gehalten werden, dann erfolgt eine günstigere Anrechnung als nach dem Verhältnis 1:1. (Auch gegenüber der DDR wurde früher eine solche vom Verhältnis 1:1 abweichende Anrechnung vorgenommen, da davon ausgegangen wurde, dass die Haftbedingungen in der DDR strenger gewesen seien als in der Bundesrepublik.)
Auch eine im Ausland gezahlte Geldstrafe kann unter Umständen eine Anrechnung auf eine in der Bundesrepublik zu vollziehende Freiheitsstrafe bewirken.
Größere Bedeutung bei Entzug der Fahrerlaubnis
Nach § 450 a StPO ist auf die im Inland zu vollstreckende Freiheitsstrafe auch die im Ausland erlittene Freiheitsstrafe anzurechnen, die der Verurteilte in einem Verfahren zur Auslieferung an die Bundesrepublik zum Zwecke der Strafvollstreckung erlitten hat. Dies gilt auch dann, wenn der Verurteilte zugleich zum Zwecke der Strafverfolgung ausgeliefert worden ist.
Auch diese Vorschrift kennt im Abs. 3 die Möglichkeit, die Anrechnung ganz oder zum Teil zu versagen; insoweit gelten die oben zum § 51 Abs. 4 StGB gemachten Ausführungen.
Vielleicht von etwas größerer praktischer Bedeutung ist die Regelung des Abs. 5 des § 51 StGB. Danach gilt für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO auf das Fahrverbot nach § 44 StGB die in Abs. 1 des § 51 StGB vorgesehene Regel der Anrechnung: die Dauer des praktisch wirksamen Fahrverbots wird also durch eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis reduziert. Dabei steht die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins gem. § 94 StPO dieser vorgenannten vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111 a StPO gleich, d.h. auch diese werden auf die praktisch wirksame Dauer des Fahrverbots nach § 44 StGB angerechnet.
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