Geschiedene können in Zukunft auf mehr Geld hoffen

Gravierendes BVerfG-Urteil zu Unterhaltszahlungen

  • Lesedauer: 3 Min.
Ein gravierendes Urteil hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe für den Unterhaltsanspruch Geschiedener gefällt. Es läuft darauf hinaus, dass Geschiedene mehr Geld bekommen können, weil bei der Bestimmung des Unterhaltsbedarfs ein neuer Ehepartner nicht mehr berücksichtigt werden darf.

Damit hat das BVerfG die Unterhaltsansprüche geschiedener Ehepartner gestärkt. Der Maßstab für den Unterhalt müsse unabhängig davon bestimmt werden, ob der unterhaltspflichtige Partner erneut geheiratet hat. Maßgeblich seien die Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung, heißt es in dem am 11. Februar 2011 veröffentlichten Beschluss (Az. 1 BvR 918/10). Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), der die Folgen einer neuen Heirat bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs einbezogen hatte, sei verfassungswidrig.

Im konkreten Fall hatte die Klägerin nach 24 Jahren Ehe zunächst 618 Euro Unterhalt pro Monat von ihrem Ex-Mann bekommen. Als der Mann wieder heiratete, wurde der Unterhalt auf 488 Euro herabgesetzt. Der Grund: Seit 2008 berücksichtigt der Bundesgerichtshof (BGH) bei der Berechnung des Bedarfs auch Unterhaltspflichten gegenüber einem neuen Ehepartner. Dies führte regelmäßig dazu, dass der geschiedene Partner weniger Geld bekam.

Scharfe Kritik an der Praxis des Bundesgerichtshofs

Das sei nicht zulässig, entschied nun das Bundesverfassungsgericht: Nach dem Gesetz sind die »ehelichen Lebensverhältnisse« Maßstab für den Unterhaltsbedarf (Paragraf 1578 BGB). Hierfür sei nach dem Willen des Gesetzgebers der Zeitpunkt der Scheidung maßgeblich. Dem Unterhaltsberechtigten sollte »der erreichte Lebensstandard gesichert und insbesondere sein sozialer Abstieg vermieden werden«, so die Richter.

Der BGH habe sich über dieses Konzept hinweggesetzt, kritisieren die Verfassungsrichter. Anstelle der »ehelichen Lebensverhältnisse« setze der BGH eigenmächtig den Maßstab der »wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse«. Das überschreite die erlaubten Grenzen der Gesetzesauslegung durch die Richter.

Die Verfassungsrichter äußerten scharfe Kritik an der Praxis des BGH, der nach der sogenannten Dreiteilungsmethode die Ansprüche des neuen Ehepartners mit in die Berechnung einbezog. Dieser Maßstab löse sich »in Gänze von seiner gesetzlichen Vorgabe«. Die Auslegung sei deshalb verfassungswidrig.

Auch kritisierten die Richter, dass die Methode nur zum Nachteil des früheren Partners angewandt werde. »Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der geschiedene Ehegatte infolge der neuen Bedarfsermittlungsmethode regelmäßig weniger, selten dasselbe, nie aber mehr erhält als im Wege einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmten Berechnung.«

»Betroffen waren vor allem Frauen aus Ehen mit traditioneller Rollenverteilung«, sagte der Augsburger Rechtsanwalt Mathias Grandel von der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins. Sie bekamen zum Teil deutlich weniger Unterhalt, wenn der Partner wieder heiratete.

Neue Rechtsprechung gilt erst für die Zukunft

Die Betroffenen können sich nun Hoffnung auf mehr Geld machen. Was sollen Betroffene nun tun? »Ich rate Betroffenen, erst einmal zu versuchen, sich mit dem Partner zu einigen«, sagt Rechtanwalt Matthias Grandel. »Wenn sich die Beteiligten nicht einigen können, so kann man beim Familiengericht einen Antrag auf Änderung des Unterhalts stellen. Dann wird der Unterhalt neu festgesetzt.« Allerdings: Die neue Rechtsgrundlage und damit die Neuberechnung des Unterhalts gilt erst für die Zukunft.

Und was passiert nun mit der Unterhaltszahlung für Kinder? »Der Unterhalt für Kinder hat absoluten Vorrang«, gibt die Berliner Fachanwältin für Familienrecht, Eva Becker, Auskunft. »Für Kinder ändert sich nichts. Minderjährige Kinder stehen beim Unterhalt nach wie vor an erster Stelle. Dabei spielt es keine Rolle, aus welcher Beziehung sie stammen.«

Bundesjustizministerium prüft bisherige Umsetzung

Nach Informationen der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger werde nun geprüft, ob bei der Umsetzung des 2008 geänderten Unterhaltsrechts unbeabsichtigte Effekte aufgetreten seien, wie das vom Bundesverfassungsgericht reklamiert wurde. Unter diesen Umständen müsse der Gesetzgeber handeln, so die Ministerin. Denn das Bundesverfassungsgericht habe deutlich gemacht: »Nur der Gesetzgeber kann entscheiden, ob die neue Ehefrau bei der Unterhaltsbemessung noch stärker berücksichtigt werden soll als bisher.«

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011, Az. 1 BvR 918/10

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