Sinnlos aller Mut, vergebens

Barrie Kosky inszenierte Antonin Dvoraks »Rusalka« in der Komischen Oper Berlin, Patrick Lange dirigierte

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.
Ohne Gräte – und doch noch Fisch: Rusalka (Ina Kringelborn) mit Jezibaba (Agnes Zwierko)
Ohne Gräte – und doch noch Fisch: Rusalka (Ina Kringelborn) mit Jezibaba (Agnes Zwierko)

Rusalka« hat Hochkonjunktur an den Opernbühnen von Zürich bis Detmold, aber keiner der Regisseure wagte es, dem einen der beiden wichtigen Elemente dieses »Lyrischen Märchens in drei Akten« auf der Bühne Raum zu geben, der Natur. Ein Wald und ein See – schon der Gedanke daran wäre wohl rufschädigend kitschverdächtig. Da ist die unerlässliche »andere« Welt der Wasser- und Naturwesen doch lieber ein Kellerloch oder ein Mädchenpensionat, ein Chat-Room im weltweiten Netz, ein abstraktes Glashaus oder eine verhexte Straßenecke.

Das zweite Lebenselement des 1901 uraufgeführten Erfolgsstücks, die psychoanalytisch-symbolistische Unterfütterung, kam dagegen nirgends zu kurz. In den Loreleyen und Sirenen – im slawischen Kulturraum heißen sie Rusalki – sah man allezeit die gefährlich schönen Frauen, tödlich verlockend für die Männer. Antonin Dvorak und sein Librettist Jaroslav Kvapil sind löbliche Ausnahmen, sie nahmen die Partei der Nixe.

Barrie Kosky, sein Bühnenbildner Klaus Grünberg und der Kostümgestalter Klaus Bruns waren wahrscheinlich in beiden Punkten am konsequentesten. Nichts, was an Natur nur entfernt erinnerte! Das ganze Stück eine Reise in innere Abgründe! Der hermetische Bühnenraum ist das etwas in die Tiefe der Bühne gerückte und verkleinerte Bühnenportal der Komischen Oper Berlin, ein vollkommener Kunstraum.

Ob Fischschwanz oder Belle-Epoque-Kleider, was an Mensch und Nixe noch lebendig ist, wird eingeengt und zugestutzt. Unerträglich sind die Schmerzen, diese Verpuppung loszuwerden. Barrie Kosky führt es drastisch vor: Rusalkas Unterleib wird aufgeschnitten und von einer riesigen Fischgräte befreit. Und doch bleibt sie Fisch, am Ende steckt sie sich im freiwilligen Martyrium den Angelhaken in den Mund, die Rute hält der tote Prinz noch in den Händen. Vielleicht kann sie mit ihm hinaufschwimmen, der ewigen Verdammung trotzen.

Diese Hoffnung ist allerdings gering, der Prinz ist ein Schwächling. Rusalka will ihren verliebten Irrtum nicht bemerken, doch dass sie weder seine Jagdbeute sein mag, noch die von ihr selbst am meisten ersehnte heiße Menschenleidenschaft empfindet, liegt möglicherweise nicht an ihrem kühlen Blut – gern wurden Frauen in ihrer Lage als frigide abgetan.

Dem drastischen ersten Akt, in der die Nixe ihre Stimme gegen einen Menschenkörper tauscht, den verkrüppelten Sohn der Hexe Jezibaba als OP-Helfer erträgt und frisch gepressten schwarzen Kater als Hexenextrakt eingetrichtert bekommt, folgt im zweiten Akt bereits die Katastrophe. Rusalkas Liebe ist verraten, sie hat aufgegeben. Grünberg schafft ihr, die weder tot noch lebendig ist, in einem surrealen Zwischenreich noch tiefere Einsamkeit. Es gibt dort weder räumliche Konturen noch Personen, Licht und leicht ungenaue Projektionen lassen den Raum seltsam wabern, Naturwesen und Menschen mutieren zu schwarzen Spuk- und Spottgesichten. Rusalka gehört zu diesen, verdammt zum todbringenden Irrlicht.

Barrie Kosky inszenierte in ästhetisch perfekter und unaufhaltsamer Konsequenz die trostlose Vergeblichkeit eines Ausbruchs. Niemand kann ein anderer werden als der er ein für alle Mal ist. Sinnlos alles Streben, sich zu vervollkommnen, sinnlos aller Mut zu neuen Welten. Misslingen wird bestraft. Der Hoffnungsstrahl ist allein der Versuch.

Und: Der Hoffnungsstrahl tönt aus dem Orchestergraben. Patrick Lange umkleidet Rusalka mit rauschhafter Zärtlichkeit, füllt den Saal schon in der Ouvertüre mit dem gespenstischem Stöhnen der Celli, macht die Waldslust und -luft zur gefährlichen Idylle. Er fasst die Partitur sehr sinfonisch auf. Die Singstimmen sind in den Orchesterklang verwoben, sie thronen nicht drüber. Ina Kringelborn, die zärtlich anrührende und körpersprachlich sehr genaue Titelheldin hat einen leichten Klang, der sich leuchtend in die Instrumentenstimmen fügt, Timothy Richards’ Prinz klingt sehr prinzlich, Dimitri Iwaschenko singt einen sonor klagenden Wassermann. Aufregend lodernde Frauenstimmen bieten Agnes Zwierko als Hexe und Ursula Hesse von den Steinen als pfeiferauchend ruchlose fremde Fürstin. Überzeugend die Ensembleleistung. Überzeugend die gedankliche Geschlossenheit der Inszenierung.

Nächste Vorstellung: 26.2.

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