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Gaddafi verschanzt sich vor seinem Volk

Libyscher Machthaber soll in Stützpunkt bei Tripolis sein / Städte im Osten feiern »Befreiung«

  • Lesedauer: 2 Min.
Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi steht mit dem Rücken zur Wand. Immer mehr Diplomaten, Regierungsmitglieder und Soldaten wenden sich von dem seit über 40 Jahren regierenden Herrscher ab.

Tripolis (Agenturen/ND). Gaddafi soll sich am Mittwoch mit vier Brigaden in einem Stützpunkt in Tripolis verschanzt haben. Derweil feierten die Bewohner mehrerer Städte im Osten Libyens die »Befreiung« ihrer Region. Augenzeugen berichteten, in den östlichen Städten Bengasi und Tobruk seien die Vertreter der Staatsmacht entweder verschwunden oder hätten sich den Aufständischen angeschlossen. Die Straßen der Hauptstadt Tripolis waren nach Augenzeugenberichten am Mittwoch weitgehend menschenleer.

Der ehemalige Botschafter Libyens bei der Arabischen Liga in Kairo, Abdulmoneim al-Honi, sagte in einem Interview der Zeitung »Al-Hayat«, der Sturz des Regimes von Gaddafi sei nur noch eine Frage von Tagen. Er rechne dennoch mit weiterem Blutvergießen, »denn dieser Mann ist zu allem fähig«. Die Arabische Liga beschloss, Libyen vorläufig von ihren Sitzungen auszuschließen.

Die UNO forderte Gaddafi auf, die Gewalt sofort zu stoppen. Generalsekretär Ban Ki Moon, der mit Gaddafi 40 Minuten telefonierte, sagte, einige der Ereignisse in Libyen »scheinen klare Verstöße gegen das internationale Recht und die Menschenrechte zu sein«. Die Gewalt gegen Zivilisten dürfe nicht ungestraft bleiben. Die 27 EU-Staaten erwägen nach einem Stopp der Waffenexporte weitere Sanktionen gegen das Regime.

Tausende Europäer, Amerikaner und Asiaten flüchten aus Libyen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sprach von der größten Rettungsaktion in der Geschichte seines Landes. Das US-Außenministerium charterte zwei Katamarane, die Malta Richtung Tripolis verließen. Auch das Auswärtige Amt will weitere Deutsche aus Libyen holen. Laut Auswärtigem Amt waren am Mittwoch noch 250 Deutsche in Libyen.

Der von Gaddafi für tot erklärte Ex-Innenminister Abdulfattah Junis schloss sich den Aufständischen an. In einem Telefoninterview des Senders Al-Arabija sagte er, ein Anhänger Gaddafis habe versucht, ihn zu erschießen. Er sei nun kein Minister mehr, sondern ein Soldat im Dienste des Volkes.

Der Aufstand hat nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation bislang mindestens 640 Menschen das Leben gekostet. Seit Beginn der Proteste seien allein in Tripolis mindestens 275 Menschen ums Leben gekommen, teilte der in Frankreich ansässige Internationale Verband der Menschenrechtsligen (FIDH) am Mittwoch mit. Weitere 230 Tote wurden demnach in der Stadt Bengasi gezählt.

Ein französischer Arzt, der anderthalb Jahre in einem Krankenhaus in Bengasi gearbeitet hatte, sprach sogar von über zweitausend Toten allein in der zweitgrößten libyschen Stadt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte ein Verfahren gegen Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof. »Es besteht der begründete Verdacht, dass Gaddafi mit der rücksichtslosen Jagd auf Demonstranten in seinem Land Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat«, sagte die Chefin von Amnesty-Deutschland, Monika Lüke.

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