Das lukrative Geschäft mit dem Öl des 21. Jahrhunderts

Wasserprivatisierung und Widerstand in Lateinamerika

  • Oliver Matz
  • Lesedauer: 8 Min.
Oliver Matz ist freier Journalist und beschäftigt sich seit zwölf Jahren mit Lateinamerika. Zahlreiche Aufenthalte in Ländern wie Ecuador und Venezuela verschafften ihm einen Einblick in die Kultur und die Politik dieser Länder. Seine Schwerpunkte sind Sozial- und Gesellschaftspolitik.
Oliver Matz ist freier Journalist und beschäftigt sich seit zwölf Jahren mit Lateinamerika. Zahlreiche Aufenthalte in Ländern wie Ecuador und Venezuela verschafften ihm einen Einblick in die Kultur und die Politik dieser Länder. Seine Schwerpunkte sind Sozial- und Gesellschaftspolitik.

Wasser wird als Öl des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Durch die rapide wachsende Weltbevölkerung, verbunden mit schrumpfenden Ressourcen, rechnen viele Experten in den nächsten Jahrzehnten mit einer sich akut verschärfenden Wasserkrise. International agierende Konzerne versuchen Gewinn aus dieser Situation zu schlagen und sind bemüht, sich die Wasservorkommen anzueignen. Dabei stießen und stoßen sie aber in Lateinamerika auf massiven gesellschaftlichen Widerstand.

Insbesondere die Tochterfirmen der vier multinationalen Unternehmen Bechtel aus den USA, Suez und Vivendi aus Frankreich und RWE aus Deutschland sind bzw. waren seit Jahren in Lateinamerika aktiv (RWE hat sich Ende 2009 durch den Verkauf von American Water mit seinen 18 Millionen Kunden aus dem Wassergeschäft in Übersee zurückgezogen). Versorgten Mitte der 90er Jahre Suez, Vivendi und RWE nur 51 Millionen Kunden weltweit mit Wasser, so wurden allein von der französischen Suez 2009 schon 90 Millionen Menschen global mit Wasser beliefert. Zugang zu den Märkten Lateinamerikas erhalten Bechtel, Vivendi und Suez vor allem durch Interventionen der Weltbank und der Interamerikanischen Bank für Entwicklung. Die Privatisierung von Wasser wird von diesen regelmäßig gegenüber den Regierungen Lateinamerikas als Bedingung für Schuldenerlass und neue Kredite eingefordert. Organisationen wie die Weltbank halten dogmatisch daran fest, dass der freie Markt als Ressourcenmanagement besser funktioniere als die Verwaltung der Vorkommen durch den Staat.

Die Argumente für eine Privatisierung von Wasser sind im Wesentlichen die folgenden: Die Regierungen hätten durch Inkompetenz oder Korruption versagt, adäquat Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Weiter wird argumentiert, dass Wettbewerb zu höherer Qualität und langfristig zu niedrigeren Kosten führe.

Diese Annahmen sind aber zu hinterfragen. Die Postulierung, dass Wettbewerb ein Element der Privatisierung sei und zu Verbesserungen hinsichtlich der Wasserqualität führe, hat sich in Lateinamerika als falsch erwiesen. Hier hat das privatwirtschaftliche Monopol dazu geführt, dass die Preise hoch, die Güte des Wassers aber meist niedrig ist.

So wäre es weiser, die Wasserverschwendung durch ein umfangreiches Bildungsprogramm zu bekämpfen, damit die Bewohner für Fragen im Umgang mit Wasser sensibilisiert werden. Eine Möglichkeit der Korruption vorzubeugen, wäre gegeben durch eine transparentere und unter Einschluss der Kommunen stattfindende Regulierung der Wasserversorgung. Die Privatisierungsverfechter erkennen zwar an, dass der Zugang zu Trinkwasser ein menschliches Bedürfnis ist, erachten ihn aber nicht als ein Menschenrecht –, wodurch letztendlich das universelle Recht auf Leben verneint wird.

Bolivien ist ein klassisches Beispiel für eine Situation, in der die Wasserprivatisierung verheerende Folgen zeigte. Zwei Konzessionen für die körperschaftliche Kontrolle von Wasservorkomm en wurden nach Aufständen der lokalen Bevölkerung beendet. Der erste fand 2000 in Cochabamba statt und richtete sich gegen die US-Korporative Bechtel. Der zweite geschah im Jahr 2005 in La Paz/El Alto, wo die Aguas de Illimani S.A. (AISA), eine Tochtergesellschaft der französischen Suez, hinausgeworfen wurde.

Bolivianische Erfahrungen

In Cochabamba hatte Bechtel die Kosten für Trinkwasser bis zu 50 und partiell sogar bis zu 300 Prozent erhöht. Dies überstieg die Zahlungsmöglichkeiten für die Armen in der Stadt und ließ sie ohne Zugang zu Wasser. Selbst für das Abschöpfen des Regenwassers von den Dächern ihrer Häuser wurde von den Bewohnern Lizenzen verlangt. Die Proteste dagegen eskalierten bis zur Verhängung des Kriegsrechts durch die bolivianische Regierung und schließlich wurde das Unternehmen Bechtel gezwungen, seine Geschäfte einzustellen.

Nachdem Evo Morales 2005 zum Präsidenten gewählt wurde, kreierte er ein Ministerium für Wasser mit dem Ziel, gleichen und universellen Zugang zu Trinkwasser zu sichern. Während das Land einer neuen Verfassung zugestimmt hat, die Zugang zu Wasser als ein fundamentales Recht betrachtet und die private Aneignung der Ressource verbietet, ist wenig geschehen, um dies umzusetzen. So wurden 2008 gerade einmal 800 000 US-Dollar für das Budget Wasser bewilligt.

Alternative Wasserprojekte

Die Stadt Sebastián Pagador im südlichen Bolivien ist zu einem Vorbild für die von Kommunen initiierte Verwaltung von Wasser geworden. Bereits 1990 wurde eine kollektive Vereinigung der Produktion und Administration von Wasser und Sanitäreinrichtungen geschaffen, in der 390 Familien ein Komitee formten und Vorgaben formulierten, die von jedem Mitglied einzuhalten waren. So war jedes Familienmitglied verpflichtet, monatlich sechs Meter Graben für die Wasserleitungen auszuheben und einen Boliviano (rund zehn Eurocents) für die Anschaffung der Baumaterialien beizusteuern. Bis 1993 war so ein komplettes Verteilungssystem gebaut worden. Heute haben 600 Häuser 17 Stunden täglich Zugang zu trinkbarem Wasser und die Kosten pro Haushalt dafür betragen umgerechnet zwei US-Dollar im Monat.

Das Modell stieß jedoch in einigen Punkten an Grenzen. Finanzielle Engpässe machen es der Vereinigung unmöglich, der steigenden Nachfrage nach Anschluss an die Wasserversorgung nachzukommen und ein Wasseraufbereitungssystem zu bauen.

Venezuela liefert eine weitere Fallstudie des effektiven Wassermanagements. Die Regierung Chávez hat Wasserkomitees in den Gemeinden ins Leben gerufen. Die Regierung hilft dabei, diese Projekte zu finanzieren und hat Bürger in Umweltfragen sowie in Fragen der Konservierung und Administration von Wasser geschult. Alle Angelegenheiten bezüglich des Wasserzugangs werden durch eine Bürgerversammlung behandelt. »Wir managen das Wasser als organisierte Gemeinde, nicht nur durch den Empfang des Wassers, sondern auch durch das Ausbilden der Mitglieder bezüglich der rationalen Nutzung und Konservierung der Ressource für die Zukunft«, erklärt Mariela Cruz Salazar vom Technischen Wasserkomitee in Camancitos, Venezuela. Laut Angaben des venezolanischen Ministeriums für Umwelt, hatten 2008 93 Prozent der venezolanischen Bevölkerung Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen (Die UNO schätzt den Anteil geringer ein).

Die Verhältnisse in Peru hingegen ähneln denen in den meisten Staaten Lateinamerikas. Im Jahr 1992 hat eine Verfassungsänderung bewirkt, dass die nationalen Ressourcen und die Produktion von Trinkwasser zugänglich für multinationale Korporativen wurden. Obwohl das Land die Privatisierungen von Wasser 2006 beendete, kämpft es immer noch mit der Schwierigkeit, ein alternatives System zu entwickeln, das die Rechte bezüglich des Zugangs zu Wasser verbindlich regelt. Präsident Alan García hat jüngst Gesetze verabschiedet, die den indigenen Gemeinden die Verfügung über Land und Ressourcen entziehen. Das Gesetz 29833 schafft öffentliche Agenturen, um die Verteilung des Wassermanagements zu überwachen. Kleine Farmer fürchten, diese Veränderungen werden die Kosten nach oben treiben, ihren Zugang zu Wasser einschränken und möglicherweise zu einer Privatisierung der Wasseragenturen führen.

Die zivile Gesellschaft hat Erfolge im Kampf gegen die Privatisierung und Kommerzialisierung von Wasser errungen. Aber der Kampf ist noch nicht gewonnen. Da die transnationalen Unternehmen Rückschläge hinnehmen mussten, haben sie ihre Strategie verändert, das Ziel hinsichtlich einer Privatisierung wurde in Lateinamerika aber nicht aufgegeben. Nachdem das in der Öffentlichkeit auf starken Widerstand stößt, nutzen die Konzerne alternative Vorgehensweisen, um ihre Ziele zu erreichen. Die Aneignung eines Territoriums oder einer Bioregion, wie es in Peru der Fall ist, ermöglicht die Kontrolle über die Ressourcen in diesem Gebiet. Große Unternehmen können durch ihre Ingenieure ganze Flüsse umleiten lassen und somit dem Zugang der Gemeinden entziehen oder Quellen und Flüsse durch Verschmutzung unbrauchbar machen. Das Abfüllen von Wasser für die Getränkeindustrie ist eine weitere Form der gesellschaftlichen Enteignung von Wasser durch Unternehmen.

Zusätzlich zu diesen Methoden können Korporativen Freihandelsabkommen nutzen, um von ihnen zu profitieren. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA und die Welthandelsorganisation betrachten Wasser übereinstimmend als Ware.

Privatisierung und Kommerzialisierung von Wasser garantieren, dass bei dem Management und der Verteilung Profit das Ziel ist, nicht die Frage darüber, was das Beste für die Menschen oder den Planeten ist. Die Profite der Abfüllindustrie sind so hoch, dass die akkumulierten Gewinne eines einzigen Jahres ausreichen würden, um die Weltbevölkerung insgesamt mit Trinkwasser zu versorgen. Im Jahr 2007 wurden global 66,6 Milliarden Dollar für abgefülltes Wasser ausgegeben. Der Markt für abgefülltes Wasser wuchs allein in diesem Jahr um 7,3 Prozent auf ein Volumen von 119,3 Milliarden Liter. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2012 der Umsatz durch den Verkauf von abgefülltem Wasser auf 94 Milliarden Dollar steigen wird.

Sauberes Wasser ist Mangelware

Um Gleichheit zu gewährleisten, muss der Zugang und die Verfügung über ausreichend Wasser für jeden als ein Menschenrecht und nicht nur als ein Bedürfnis, ein Privileg oder ein Bedarf betrachtet werden. Die in den bolivianischen und venezolanischen Gemeinden verwirklichten Programme, einschließlich ihrer Bildungsprogrammen, waren sehr erfolgreich: Mit ihnen wurde vielen Menschen in kleinen Dörfern und Kommunen Wasser verfügbar gemacht. Somit dienen sie zweifelsohne als ein interessantes Modell für andere Länder, können aber in größeren Städten, wo ganz unterschiedliche Bedingungen herrschen, nur sehr eingeschränkt angewandt werden. So muss das Hauptaugenmerk vor allem auf präventiver Planung liegen, die den Erhalt der Wasservorkommen sichert.

Laut Analysen der Weltbank werden im Jahr 2035 mehr als drei Milliarden Menschen keinen verlässlichen Zugang zu Trinkwasser haben und adäquate Sanitäranlagen werden wahrscheinlich noch weniger anzutreffen sein. Das Gremium für Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change) prognostiziert, dass im Jahr 2020 die Zahl der Lateinamerikaner ohne sicheren Wasserzugang bei bis zu 77 Millionen Personen liegen wird. Die sozialen Bewegungen, die sich mit Fragen des Klimawandels und der Wasserversorgung beschäftigen, müssen diesen Entwicklungen Rechnung tragen, indem sie Antworten hinsichtlich des Umweltschutzes, einer Reduzierung der Wasserverschmutzung und der Restrukturierung der Landwirtschaft für das 21. Jahrhundert entwickeln.

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