Degradierung zum Patienten dritter Klasse

Der Basistarif in der Privaten Krankenversicherung (Teil 2)

  • Lesedauer: 5 Min.
In einer zweiteiligen Serie sind die Rechtsanwälte ANKE PLENER aus Berlin-Mitte, GERD KLIER aus Neuruppin und VOLKER LOESCHNER aus Berlin-Wilmersdorf den Problemen mit dem Basistarif in der Privaten Krankenversicherung nachgegangen. Im heutigen Teil 2 geht es um den Abstieg zum Patienten dritter Klasse. Der Teil 1 am 23. Februar 2011 beschäftigte sich damit, wie Hilfebedürftige per Gesetz in die Armut getrieben werden.

Privatpatienten gelten gegenüber gesetzlich Versicherten als Patienten erster Klasse. Dies ist ein Mythos, der auf den Prüfstand gestellt werden muss. Immer häufiger fallen private Patienten gegenwärtig durch das Netz der medizinischen Versorgung. Es gibt also Patienten, die der Arzt ablehnt, weil sie Privatpatienten sind. Für Privatpatienten im Basistarif der privaten Krankenversicherung ist die medizinische Versorgung nämlich nicht gewährleistet.

Zwar haben diese Versicherten einen Anspruch auf Erstattung von Arzt- und Krankenhausleistungen gegenüber ihrer privaten Krankenkasse. Ganz gleich aber, ob als Privat- oder Kassenarzt tätig, sind Ärzte gem. § 7 Abs. 2 Satz 2 der Musterberufsordnung darin frei, eine Behandlung abzulehnen, wenn es sich nicht um eine Notfallbehandlung handelt. So stellt etwa eine Zahnbehandlung nie einen Notfall dar, so dass alle Zahnärzte die Behandlung der Privatpatienten im Basistarif ablehnen können.

Die Zulassung eines Arztes als Vertragsarzt (Kassenarzt) bewirkt, dass er nur zur vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet ist (§ 95 Abs. 3 SGB V). Dies gilt also nur gegenüber gesetzlich Versicherten. Hier darf eine Behandlung nur aus gesetzlich definierten Gründen abgelehnt werden (§ 13 Abs. 6 Bundesmantelvertrag Ärzte/BMV-Ä). Da es sich bei den im Basistarif Versicherten und Hilfebedürftigen aber um einen Personenkreis handelt, der in der privaten Krankenversicherung versichert ist, besteht eine solche Behandlungspflicht durch Vertragsärzte nach §§ 27 ff. SGB V, § 13 Abs. 7 BMV-Ä nicht.

Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Privatpatienten im Basistarif durch Vertragsärzte wurde gesetzlich der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KVB) sowie den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zugewiesen. Nach § 75 Absatz 3a SGB V haben die KV auch die ärztliche Versorgung der im Basistarif Versicherten sicher zu stellen und zwar in Art, Umfang und Höhe den Leistungen in der GKV vergleichbar (§ 12 Absatz 1a des VAG). Der einzelne Vertragsarzt wird aber durch § 75 Absatz 3a SGB V nicht zur Behandlung verpflichtet.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits am 5. März 2008 die Verfassungsbeschwerde eines Vertragsarztes mit der Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 807/08), der Beschwerdeführer sei nicht unmittelbar durch § 75 Absatz 3a SGB V betroffen. Als Adressaten der Norm seien nicht die Vertragsärzte, sondern nur die KV und die KVB anzusehen. Der Pflichtenkreis des einzelnen Vertragsarztes werde hierdurch nicht ausgeweitet, da sich die Versorgung dieser Versicherten außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung vollziehe.

Wenn die KV zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung verpflichtet sind, dies aber ihrerseits nicht umsetzen, wie soll dann die Behandlung von Privatpatienten im Basistarif erfolgen? Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben bis dato lediglich Bestimmungen und Vereinbarungen, die die gesetzlich Versicherten betreffen. Eine vertragliche Regelung der Krankenversicherungen für Privatpatienten im Basistarif existiert nicht. Somit haben die Vertragsärzte auch keine Verpflichtung, Privatpatienten im Basistarif zu behandeln.

Weshalb nun haben aber Ärzte kein Interesse an der Behandlung von im Basistarif privat versicherten Patienten? Der Arzt rechnet für die privat versicherten Patienten nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ab.

Für Privatpatienten im Basistarif gelten allerdings wesentlich niedrigere Rahmengebühren als für andere Privatversicherte und vor allem fast um die Hälfte geringere Rahmengebühren als für gesetzlich Versicherte, für die jedoch ein gänzlich anderer Abrechnungsmaßstab gilt.

Nach eigener Einschätzung von Ärzten erhalten sie für die gleiche Leistung bei einer Behandlung von Personen, die im Basistarif versichert sind, etwa 40 Prozent weniger als bei der Abrechnung eines gesetzlich versicherten Patienten. Die Behandlung eines im Basistarif Versicherten ist für den Arzt also unwirtschaftlich.

Diese Situation ist gesetzlich und durch Vereinbarungen so geregelt. Mit einer Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Verband der privaten Versicherung e.V. wurden die Gebühren für im Basistarif Versicherte zum 1. April 2010 nochmals erheblich abgesenkt. Während für einen (normal) privat Versicherten ohne weitere Begründung der 2,3-fache Gebührensatz abgerechnet werden kann (§ 4 Abs. 2 Satz 4 GOÄ), gilt für privat Versicherte im Basistarif der maximale Satz des 1,2-fachen Gebührensatzes. In der Praxis lehnen demnach immer häufiger Privatärzte Privatpatienten ab, die im Basistarif versichert sind.

Während der Privatarzt zwar einen schlechten, aber direkten Vergütungsanspruch gegenüber diesen Privatpatienten hätte, aber nicht will, soll der Vertragsarzt hingegen mittelbar über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) für Privatpatienten im Basistarif einen niedrigen Abrechnungsfaktor hinnehmen. Durch diese Hintertür soll der Anschein erweckt werden, ein Privatpatient im Basistarif »sei wie ein gesetzlich Versicherter« zu behandeln.

Neben der offensichtlichen Ungerechtigkeit dieses systemwidrigen Tricks wird aber durch die zwischen der KBV und dem Verband der privaten Krankenversicherer geschlossene Vereinbarung der Vertragsarzt lediglich rechtlich in die Lage versetzt, überhaupt für Privatpatienten im Basistarif etwas abrechnen zu können.

Die systemwidrige Lücke, dass es Patienten geben kann, die von Ärzten nicht behandelt werden müssen, wird nicht gefüllt. Der Vertragsarzt wird im Verhältnis zum Privatpatienten im Basistarif als »Privatarzt« tätig. Ihm steht also ebenfalls das Recht zu, den Privatpatienten abzulehnen.

Der Privatarzt will den Patienten indes nicht, da er hierfür nicht angemessen vergütet wird. Der Vertragsarzt seinerseits sieht seine Ressourcen insgesamt schwinden. Theoretisch kann es also passieren, dass der Patient an jeder Tür klingelt und diese verschlossen bleiben. Tatsächlich ist dies wachsende Realität.

Die gegenwärtige gesetzliche Versicherungspflicht für alle Personen mit Wohnsitz im Inland führt in ihrer Umsetzung gerade nicht zur Sicherstellung einer Behandlung, sondern daran vorbei. Hier gilt es höhere Multiplikatoren der Abrechnungsfaktoren zu ermöglichen, ein System der Grundsicherung (Bürgerversicherung) einzuführen, das nur eine private Kranken(-zusatz-) versicherung erlaubt, oder aber zumindest über eine Änderung von § 95 Abs. 3 SGB V Vertragsärzten tatsächlich per Gesetz eine Behandlungspflicht von Privatpatienten im Basistarif aufzuerlegen, damit niemand durch das medizinische Versorgungsnetz fällt.

Der Bundesregierung ist vorzuwerfen, dass der Ansatz der flächendeckenden Versicherungspflicht sich im Ergebnis gerade gegen die Personengruppe richtet, die von der Versicherungspflicht erfasst werden sollte. Überdies führt es zu wesentlich höheren Behandlungskosten, wenn Patienten Krankheiten nicht behandeln lassen, die sich hierdurch verschlimmern.

Wenn es schon Patienten zweiter Klasse nicht geben soll, dann erst recht nicht Patienten dritter Klasse!

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