EU-Bollwerk gegen Flüchtlinge?

Karl Kopp von Pro Asyl über die Abschiebepraxis der Türkei / Kopp ist Europareferent der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl in Frankfurt am Main

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: EU-Bollwerk gegen Flüchtlinge?

ND: Herr Kopp, laut Bundesregierung richtet die Türkei mit EU-Unterstützung sieben neue Aufnahmezentren für Flüchtlinge ein. Wird das Land am Bosporus nun zum Bollwerk gegen Schutzsuchende gemacht?
Kopp: Seit Jahren gibt es Versuche der Europäischen Union, die Türkei ähnlich wie die nordafrikanischen Staaten zum Gendarmen Europas zu machen. Erst im Januar hat die EU ein Rückübernahmeabkommen mit der Türkei geschlossen. Flüchtlinge aus der Türkei sowie Schutzsuchende aus Drittstaaten, die über das Land in die EU eingereist sind, sollen in Zukunft leichter in die Türkei abgeschoben werden können.

Hat die Türkei überhaupt ein »Flüchtlingsproblem«?
Das Land ist immer noch auch ein Herkunftsland von Flüchtlingen, denn dort finden nach wie vor Menschenrechtsverletzungen statt. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Iran, Somalia, Syrien, mittlerweile auch aus Eritrea über die Türkei fliehen müssen, um in die Europäische Union zu gelangen.

Von wie vielen Flüchtlingen sprechen wir?
Das Evros-Gebiet an der türkisch-griechischen Landgrenze war im letzten Jahr der Haupteinreisepunkt für Flüchtlinge nach Europa. Dort sind über 40 000 Menschen festgenommen und unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert worden. Schutzsuchenden aus Iran und Irak droht die Zurückschiebung in die Türkei auf Grundlage eines bilateralen Rückübernahmeprotokolls und von dort die Weiterschiebung bis ins Verfolgerland..

Im Nachbarstaat Griechenland ist das Asylsystem durch den Ansturm der Flüchtlinge faktisch zusammengebrochen. Funktioniert es in der Türkei?
Es gibt kein Schutzsystem für nichteuropäische Flüchtlinge in der Türkei .Das weiß die Bundesregierung und die Europäische Kommission. Es gibt für Schutzsuchende nur ein Flüchtlingsfeststellungsverfahren durch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. Gewährt dieses einen Flüchtlingsstatus, müssen die Menschen ausharren und hoffen, dass ein Drittland sie aufnimmt.

Was machen die Türken mit Flüchtlingen, die bei ihnen gestrandet sind?
Flüchtlinge leben sehr gefährlich. Sie werden häufig in Haft genommen und müssen ständig damit rechnen, abgeschoben zu werden. Das bloße Überleben ist bereits schwierig.

Die Türkei verletzt die Menschenrechte. Dennoch wurde ein Abschiebeabkommen mit der EU geschlossen. Zugleich verdammt die EU vermeintliche Despoten wie Gaddafi. Wie bewerten Sie das?
Europa hat mit allen korrupten Diktatoren in den Transitstaaten Nordafrikas bei der Flüchtlingsabwehr und im sogenannten Anti-Terrorkampf zusammengearbeitet. Dabei hat die EU Menschenrechtsverletzungen zugelassen, immer wieder ein Auge zugedrückt oder selbst daran mitgewirkt. Die Türkei ist aktuell das wichtige Transitland für Flüchtlinge und außerdem in Beitrittsverhandlungen mit der EU. Menschenrechtskritik findet bei den Beitrittsgegnern in Deutschland und Europa sehr instrumentell statt – bei dem Abschiebeabkommen spielen de facto Menschenrechte und Flüchtlingsschutz keine Rolle mehr.

Die Menschenrechtslage in der Türkei wird von der EU also mal so, mal so bewertet.
Ganz genau.

Fragen: Christian Klemm

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal