Eine Welt für Manteltaschen

Dem Maler Ernst Lewinger zum 80.

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 3 Min.
Ernst Lewinger: »Liebelei« von Arthur Schnitzler, Tusche
Ernst Lewinger: »Liebelei« von Arthur Schnitzler, Tusche

In einer der ersten Besprechungen einer Ausstellung von Ernst Lewinger beschreibt Ingrid Wenzkat 1968 die Wirkung auf den Betrachter: »Er führt ihn in Interieurs mit gleißenden Leuchtern und festlichen Türen, die jedoch stets geschlossen bleiben, und also bewahren, nicht einladen sollen. Oder entführt ihn in Parks, deren träumende Pavillons wie Kassetten wispernder Geheimnisse aus der wuchernden Eigenwilligkeit vergangener Gartenkunst ragen. ... Und es ist in allem eine feine Kunst herbstlicher Gedanken, voll matter Schönheit wie die Blätter an einem Baum im Oktober.«

Diese Worte über einen Debütanten klingen nach Beschreibung eines gereiften Alterswerkes. Und sie treffen tatsächlich heute noch zu. Davon kann man sich derzeit in einer Ausstellung überzeugen, die räumlich so nahe am Ort jener früheren liegt, wie die Sujets und Formulierungen denen von dazumal gleichen. Viele Zeichnungen sind so klein, dass der Zeichner sie schützend mit einer Hand zu bedecken vermöchte. Einen beachtlichen Teil dieses Tuschezeichen-Oeuvres könnte ein Flüchtling in den Taschen seines Mantels mit sich führen.

Aber die materielle Beschränktheit steht in einem umgekehrten Verhältnis zur spirituellen Tragweite dieser Spielkarten-großen Weltbilder. Eine flache Handlupe hängt neben den Wechselrahmen mit den Miniaturzeichnungen. Das wirkt erst einmal befremdlich. Aber der Gebrauch dieses Hilfsmittels besticht weniger durch den Vergrößerungseffekt, dem die Blätter freilich souverän standhalten. Diese optische Scheuklappe schließt alles störende Beiwerk aus.

Wie beim Blick durch das einzige Fenster eines beengten Kerkers, wird der Betrachter in die Landschaften hineingezogen: Steht mit Mozart, während der Rast auf der Reise nach Prag, in der Laube, blickt von den Zinnen des Schlosses in das liebliche Böhmerland. Um die Umschläge der erschienenen Buchtitel sind die Originalzeichnungen angereiht, zu Theodor Fontane, Friedrich Huch, Jens Peter Jacobsen.

Lewinger zeichnete zu seiner Lektüre, lange bevor ihn der erste Illustrationsauftrag ereilte. Diese natürliche Reihenfolge, dass das Ereignis abgeschlossen vorliegt, bevor es publiziert wird, ist in unserer berechnenden Kulturwelt ein seltener Fall geworden – wo doch die Kunstwerke neuerdings ihrer Entstehung schon Schatten voraus werfen.

Ein britischer Künstler bemerkte unlängst im Hinblick auf den dürftigen Anteil der Zeitgenossen an einer großen Aquarell-Ausstellung, dass die Beschäftigung mit dieser Technik für den heutigen Künstler einem publizistischen Selbstmord gleichkäme. Alles drängt ins große Format. Auch die Kollegen Lewingers aus der grafischen Zucht eines Hans Theo Richter bemühten sich bald um großartigere Aussagen und farbigen Reiz, wie sie die grafischen Blätter auf den ersten Blick nicht zu bieten vermochten. Während diese Bestrebungen mit großen Museumsschauen, mit dicken Katalogen und gedruckte Werkverzeichnissen bedacht wurden, liegen von Lewingers Schaffen nur Faltblätter und Hefte vor. Die einzigen beiden umfangreicheren Ausstellungen seines Gesamtwerkes fanden bezeichnenderweise in Bibliotheken statt, nicht in Kunstmuseen.

Über das Verhältnis zum Lehrer Josef Hegenbart schrieb Fritz Löffler 1974 »...Lewinger gehört zu den nur wenigen Schülern Hegenbarths, die er als solche anerkannte. Er ist keiner der kleinen Hegenbarths, die das Mißfallen des Meisters erregten, sondern hat sich völlig selbständig entwickelt.« Bevor er wieder in die Heimatstadt Dresden zurückkehrte hatte er in Charlottenburg mit Alexander Camaro und Hans Uhlmann zwei Exponenten der ungegenständlichen Nachkriegskunst zu Lehrern, begegnete dort Karl Hofer und Schmidt-Rotluff.

Seine Bildwelt ist geradezu entwicklungsfeindlich, auf eine feinnervige Beständigkeit ausgerichtet. Dieses Jahr wird nun endlich eine Monografie über den Künstler erscheinen.

»Ernst Lewinger«, Galerie Rahmen & Bild, Bautzner Landstr. 28, Dresden, bis 31.März, Di-Fr 10-13, 15-18, Do bis 19 Uhr.

»Ernst Lewinger – Leben und Werk«, 160 S., zahlreiche Abbildungen, geb., Goldenbogen Verlag Dresden 2011, Subskriptionspreis 30 Euro / Buchhandelsausgabe 50 Euro.

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