Sein und Schein

Gorki Studio Berlin: »Wohngemeinschaft«

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 2 Min.

Alles wird versucht. Nichts bringt etwas. Auf die Straße hinunterstürzen – eine Möglichkeit, aber keine gute. Liebe versuchen, eine andere Möglichkeit, aber mit wem? Geld herbeizaubern, ganz schwierig. Eine Schwangerschaft? Schnell, weil sonst väterliche Millionen nicht »fließen«? Fast ausgeschlossen.

Die Mädchen und Buben in einer lockeren Wohngemeinschaft saind zwar längst erwachsen, aber die kleine Welt um sie herum ist ihnen zu groß. Wozu lebt man, gibt es Liebe oder wenigstens Solidarität, Zusammenhalt wirklich? Die alten Fragen eben, und vielleicht auch eine neue – wohin mit einem Klavier, das verkauft, verpfändet ist, was auch immer, aber dennoch trutzig stehen bleibt?

Und dann ereignet sich noch ein Totschlag, Glas auf dem Kopf, mit Einäscherung im Zimmer. Aber der Gemordete kommt wieder, durchs Fenster, und meint, nun müssten doch alle endlich und dauerhaft zusammen leben. Da kann der ebenfalls tote Papa mit seinem vermaledeiten Testament, am Ende aus finsterem Dunkel zu hören, nur noch vergeblich um Gefolgschaft mit der Bande barmen.

»Die Wohngemeinschaft« von Cristin König, im Studio des Berliner Maxim Gorki Theaters aus der Taufe gehoben, ist, wie der Untertitel beichtet, »eine Farce«. Und ein Festschmaus für Schauspieler. Die dürfen in schneller Folge Lebensentwürfe durchprobieren.. Cristin König hat ihren übermütigen Text selbst inszeniert und mit durchgehenden Video-Sequenzen in viele Wirklichkeiten aufgespaltet. Es gibt Verfremdungen durch verblüffende Gleichzeitigkeiten, die ruhigen zweidimensionalem Abbilder auf gleichsam durchlässiger Video-Wand ringen mit der flüchtigen körperlichen Anwesenheit der Schauspieler auf der Bühne.

Offen bleibt in sanft fließenden Übergängen bewusst, was greifbar ist, was nur Vorstellung, wo Träume beginnen und enden, in welchem »Reich« die Figuren gerade leben (Ausstattung Karoline Biener, Co-Regie Dominic Friedel). Das stenografische Protokoll eines kollektiven Lebensversuchs macht die Regisseurin dadurch zum zauberisch verwirrenden Märchen.

Gespielt wird das von acht Darstellern (u.a. Anja Schneider, Jenny Schily, Gunnar Teuber, Robert Kuchenbuch) mit Lust und bewundernswerter Disziplin, die gleitenden Übergänge zwischen Schein (Video-Bild) und Sein (körperliche Anwesenheit) gelingen perfekt. Dass die Farce gedankliche Höhenflüge und aufwühlende Konflikte schuldig bleibt, liegt in der Natur der Sache.

Nächste Vorstellung: 4. April

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