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Wider retrospektive Fiktion

ANTIFASCHISMUS

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor Kurzem feierte Wolfgang Nossen, der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, seinen 80. Geburtstag. Er sei ein kritischer Geist und lasse sich nicht vom schönen Schein vereinnahmen, sagte er am 9. Februar in einem Interview. Mit der Bemerkung, alles sei »wischiwaschi«, nahm er das Programm der CDU/SPD-Landesregierung gegen Extremismus aufs Korn. Er sei zwar zu der Kommission, die das Programm auszuarbeiten hatte, eingeladen worden, aber bald nicht mehr hingegangen. Sein Eindruck: »Der Feind ist links.« Irritiert wurde nachgefragt, was er denn damit meine. Nossen bekräftigte: »Der Feind ist links, rechts ist die böse Verwandtschaft … Die wollen gar nichts gegen die Nazis machen.«

Fast zeitgleich las ich den »Einspruch« von Angehörigen der Vereinigung der Opfer des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und anderer Verbände gegen den Geschichtsrevisionismus in Deutschland. Da heißt es, die offiziell gepriesene und als vorbildlich bezeichnete Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen sei eine »retrospektive Fiktion«; zwar würden zu gegebenen Gedenktagen feierlich Kränze an Erinnerungsstätten abgelegt, doch nur »der Form wird Genüge getan«. Peter Fischer, der die Positionen des Zentralrates der Juden in Deutschland zur Gedenkstättenpolitik vertritt, warnt ähnlich wie der Sprecher der Roma und Sinti, Silvio Peritori, vor aufkommender Ignoranz und Lippenbekenntnissen gegen Rassismus sowie vor einer »Gedenkroutine«. Auch andere kritisieren heutige Erinnerungsarbeit, soweit sie den Herrschenden als förderungswürdig gilt, letztlich als anti-antifaschistisch ausgerichtet.

Zu den hier gebotenen Analysen stehen mitunter recht kurze, aber außerordentlich erhellende Statements zu methodischen Aspekten geschichtspolitischer Argumentation. Alle richten sich gegen die Grundelemente regierungsoffizieller Geschichtspolitik. Da geht es zum einen um die Behauptung, man benötige eine »grundlegende Neubewertung« des europäischen Geschehens im 20. Jahrhundert, womit insonderheit Täter zu Opfern stilisiert und die gesellschaftlichen Ursachen faschistischer Ideologie, Bewegungen und Herrschaftsformen kaschiert werden sollen. Bewegend liest sich der Aufsatz des im September 2010 verstorbenen FIR-Präsidenten Michel Vanderborght. Ihm galt die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand als eine wesentliche Grundlage »für die Etablierung eines echten europäischen Friedensraumes«, in dem das universelle Prinzip der Gleichheit aller Menschen herrscht.

Ein zweiter Einspruch gilt dem Grundsatz: »Wir trauern um alle Opfer, weil wir gerecht gegen alle Völker sein wollen, auch gegen unser eigenes.« Hier behandeln Moshe Zuckermann, Kurt Pätzold und Holger Politt Aspekte jener These, der zufolge eine Trauer angeblich »um alle Opfer« von Diktaturen und Kriegen erforderlich sei. Im dritten Teil wehren sich Rosario Bentivegna, Hannes Heer und Ulrich Sander gegen Versuche, faschistische Verbrechen zu relativieren. Nachdrücklich fordert der Italienier Bentivegna, in einer Demokratie Antikörper zu finden, um das »alte faschistische Böse zu besiegen, das zunächst als Idee einer personellen und absoluten Macht daherkommt, wie am Anfang des letzten Jahrhunderts«. Heer bietet seine gediegene Sachkenntnis auf, um die Rolle der Wehrmacht und ihrer Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu erhellen. Es sei notwendig, die »Urgeschichte von Hitlers Krieg« noch einmal zu erzählen, sei doch hierzulande das Militär in besonderem Maße zum Gegenstand revisionistischer Deutungen geworden. Den Zusammenhang zwischen dieser Art von Geschichtspolitik und aktueller Kriegsführung am Hindukusch stellt Sander überzeugend am Beispiel der Traditionspflege einer Gebirgstruppe in Mittenwald dar.

Auch »Praktiker« der Gedenkstättenarbeit kommen zu Wort. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, stellt seinen »Einspruch« in zehn Thesen zum Verhältnis von authentischen Orten und Geschichtspolitik dar, während Rosel Vadehra-Jonas mit dem Blick auf Ravensbrück vor allem die »Entpolitisierung der Gedenkstätten« beklagt und sich gegen zu erwartende Konkurrenz unterschiedlicher Opfergruppen um die verfügbaren finanziellen Mittel wehrt.

Schließlich wird »vergessener Opfer« gedacht. Ein »Vermächtnis« von neun internationalen Lagergemeinschaften vervollständigt die Publikation, der zahlreiche Leser zu wünschen sind.

Angemerkt sei: An einer Stelle (S. 49) wird von Faschismen gesprochen, womit die reale Vielfalt und mitunter recht erheblich große Unterschiedlichkeit der zahlreichen Erscheinungsformen faschistischer Ideologie, Bewegungen und Herrschaftssysteme in den Blick geraten. Doch an keiner Stelle ist von der Existenz unterschiedlicher Antifaschismen zu lesen, was zu jenen Problemen weist, die heutige Antifaschisten hin zu einem nur gemeinsam zu erreichenden Erfolg leider immer noch zu belasten scheinen.

Heinrich Fink/Cornelia Kerth (Hg.): Einspruch! Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik. PapyRossa. 126 S., br., 12 €

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