City-Kirche oder Grünfläche
Die Magdeburger stimmen über den Wiederaufbau eines Gotteshauses im Stadtzentrum ab
Magdeburg. Die Dresdner haben ihre Frauenkirche wiederaufgebaut, in Leipzig entsteht ein Nachfolgebau für die 1968 gesprengte Universitätskirche, Berlin streitet über das Stadtschloss. Am Sonntag entscheiden die Magdeburger über den Wiederaufbau der zu DDR-Zeiten gesprengten Ulrichs-kirche. Dabei geht ein tiefer Riss durch die Bevölkerung an der Elbe. Die einen wollen die große Grünfläche im Stadtzentrum lassen wie sie ist, lehnen die Kopie einer seit Jahrzehnten verschwundenen Kirche ab – zumal es noch kein konkretes Nutzungskonzept gibt. Die anderen hoffen auf eine Bereicherung des Stadtbildes und einen touristischen Entwicklungsschub.
Im Zweiten Weltkrieg war Magdeburg in vielen Teilen zerstört worden. Ein richtig geschlossenes Stadtbild ist bis heute nicht wieder entstanden. Die Innenstadt ist geprägt von breiten Straßen, Plattenbauten und Häusern im sozialistischen Zuckerbäckerstil. Ein großes Einkaufszentrum erfüllt in vielerlei Hinsicht die Funktion einer fehlenden Flaniermeile.
Bewegendes Thema
Der Verein Kuratorium Ulrichskirche mit Initiator Tobias Köppe hat sich seit 2007 zum Ziel gesetzt, die original wiederaufgebaute Kirche bis zum 31. Oktober 2017 weihen zu lassen – dann jährt sich Luthers Thesenanschlag in Wittenberg zum 500. Mal. Der Verein sieht die Ulrichskirche als einen wichtigen Ausgangspunkt für Martin Luthers reformatorische Ideen. Es soll eine City-Kirche ohne eigene Gemeinde entstehen.
Der Stadtrat begrüßte im Juni 2010 das Engagement des Kuratoriums, ohne öffentliche Mittel die Kirche wiederaufbauen zu wollen. Allein aus Spenden sollen die Baukosten von geschätzten 30 Millionen Euro gedeckt werden. Die Stadt will das Grundstück zur Verfügung stellen. Auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und der Kirchenkreis Magdeburg befürworten das Vorhaben.
Die Gegner des Wiederaufbaus haben mit einer Unterschriftenaktion den ersten Bürgerentscheid überhaupt in Magdeburg erzwungen. Deshalb erhalten die Bürger der Stadt mit dem Stimmzettel für die Landtagswahl am Sonntag auch einen Bogen mit der Frage »Sind Sie gegen den Wiederaufbau der Ulrichskirche?«. Ein »Nein« kommt also der Zustimmung gleich. Um den Neuaufbau der Ulrichskirche zu verhindern, müssen rund 50 000 Magdeburger Wahlberechtigte ihr Kreuz bei »Ja« machen. Zugleich muss die Zahl der »Ja«-Stimmen größer sein als die Zahl der abgegebenen »Nein«- Stimmen.
Wie sehr das Thema die Menschen in der Elbestadt bewegt, merkt besonders die Lokalredaktion der »Magdeburger Volksstimme«. Dort kommen seit Jahren stetig Leserbriefe zu diesem Thema an. Redaktionsleiter Rainer Schweingel kann sich an kein anderes Thema erinnern, das die Magdeburger über einen so langen Zeitraum so intensiv beschäftigt hat. Schweingel wertet die lebhafte Debatte positiv, sowohl Befürworter als auch die Gegner verfolgten hehre Ziele in Sachen Stadtentwicklung. Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) sagt: »Der Wiederaufbau der Ulrichskirche ist eine Frage, die die Magdeburger ins Herz trifft – nicht nur emotional. Denn bei der Entscheidung geht es sozusagen um das Herz unserer Stadt.«
Anders als die Dresdner Frauenkirche ist die Ulrichskirche nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern 1956 durch Sprengung zerstört worden. Die Gemeinde der Ul-richskirche ist Köppes Angaben zufolge erstmals im Jahr 1022 urkundlich erwähnt worden, damals soll auch die Kirche schon gestanden haben. Luther besuchte die Kirche als Schüler mehrfach.
Basis der Reformation
Die Reformationszeit wurde zur Blüte- und Glanzzeit der Kirche. Nach Angaben des Kuratoriums entsagte bereits am 6. Mai 1524 die Ulrichsgemeinde feierlich dem Papsttum und dem römischen Glauben. Von der Ulrichskirche aus wurde das Gedankengut des Reformators Luther mittels Streitschriften aus Druckerpressen über Deutschland, Europa und die ganze Welt verteilt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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