Wenn scheinbar Unmögliches möglich geworden ist

Regierungserklärung: Moratorium wegen »Vorliegen eines Gefahrenverdachts« / Zwei Atomkraftwerke vom Netz

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht in ihrer Regierungserklärung von einer »neuen Lage« nach der Katastrophe in Japan, verteidigt die Atomenergie aber dennoch als »Brückentechnologie«.

Großes Mitgefühl für die Menschen in Japan, hitziges Gekeife um die Konsequenzen aus der Katastrophe für die Atompolitik: Auch im Bundestag war gestern zu spüren, was der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) als »emotionalen Ausnahmezustand« bezeichnet hatte.

»Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit«, sagte die Bundeskanzlerin in der Regierungserklärung. »Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind. Sie gehören zu den sichersten der Welt.« Aber wenn »in einem so hoch entwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche möglich« geworden sei, verändere das die Lage.

Merkel bekräftigte das dreimonatige Moratorium über die Verlängerung der Restlaufzeiten für AKW. Die ältesten Meiler der Republik sollen in dieser Zeit vom Netz, allesamt gründlich überprüft werden. Die von verschiedenen Seiten geäußerten juristischen Bedenken an dieser Vorgehensweise wies sie zurück. Es handele sich um die »Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen Lage«. Im Gesetz sei festgeschrieben, dass aufsichtsrechtliche Maßnahmen wie das Moratorium »bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts« möglich seien. »Wir wollen so schnell wie möglich das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen«, erklärte die Kanzlerin. Bis dahin bleibe die Atomkraft »Brückentechnologie«.

»Was wir erleben, ist das Ende des Atomzeitalters«, sagte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, ein Jahrzehnt nach den Verhandlungen seiner Partei um den Atomausstieg. Merkel warf er vor, ihn während der Zeit der Großen Koalition schriftlich dazu aufgefordert zu haben, die Atomkraftwerke Biblis A und Neckarwestheim I weiter zu betreiben. Danach habe sie mit den Atomkonzernen die Laufzeitverlängerung ausgehandelt. »Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht.« Gabriel kritisierte, mit Gerald Hennenhöfer sei ausgerechnet ein früherer Atomlobbyist für die geplanten Sicherheitsprüfungen zuständig, und Mappus fungiere als Atomlobbyist und Atomaufsicht zugleich. Jürgen Trittin, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, befürchtete eine – nicht zuletzt durch den von Rot-Grün ausgehandelten Atomkompromiss mögliche – Übertragung der Reststrommengen von alten auf neue Anlagen: »Dann reden wir von Laufzeiten bis 2050.«

»Der 11. März '11 muss das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeläutet haben«, sagte Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der LINKEN. Er machte darauf aufmerksam, dass weder die militärische noch die zivile Nutzung der Atomenergie beherrschbar seien. Für Deutschland forderte er, dass sich die Politik gegen die Atomwirtschaft durchsetzen müsse und die Demokratie gegen »Spekulanten, Bankenchefs und Lobbyisten« verteidigt werde.

Sogar Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) sagte bei seiner Regierungserklärung im Landtag: »Der Glaube, alles bis ins Kleinste steuern zu können, hat sich erledigt.« Wie der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) ordnete er die Abschaltung des vom Moratorium betroffenen Werks in seinem Bundesland an. Zuvor hatte der Energiekonzern EnBW bereits die AKW Neckarwestheim I und Philippsburg heruntergefahren.

Dem ARD-Magazin »Kontraste« liegt nach eigenen Angaben eine Liste des Bundesumweltministeriums mit den künftigen Sicherheitskriterien für alle 17 deutschen AKW vor. Aus Betreiberkreisen habe es geheißen, dass auch neuere Meiler angesichts notwendiger Nachbesserungen unrentabel werden dürften – und damit das »völlige Ende des deutschen Atomzeitalters eingeläutet werden könnte«.

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