Gebet gegen die Gier

Niedersachsen: »Kreuzweg der Schöpfung« warnt vor menschlicher Selbstüberschätzung

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf die Bedrohung der Umwelt machen evangelische und katholische Christen in Niedersachsen derzeit mit einem »Kreuzweg der Schöpfung« aufmerksam. Fünf Orte werden dabei angesteuert. Am Sonntag war es Gorleben, wo rund 200 Menschen unweit der atomaren Anlagen zu einem Schweigemarsch starteten. Im Mittelpunkt stand die Katastrophe von Fukushima.

Als kirchlich Engagierte vor einiger Zeit nahe dem maroden Atommülllager Asse eine Lärche fällten, um aus ihr ein großes Kreuz zum Mittragen bei der ökumenischen Umwelt-Aktion zu fertigen, war Fukushima noch kein Begriff für Tod und Elend. Doch genau zwei Tage vor seinem Beginn am 13. März bekam der Kreuzweg, den das katholische Bistum Hildesheim organisiert, durch das Geschehen in Japan bittere Aktualität.

Der Turmbau zu Babel

Die Katastrophe war dann auch Thema der Rede, mit der sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zum Auftakt des Kreuzweges in Hannover an die Teilnehmer wandte: Den Menschen sei es nicht möglich, die Natur und ihre Gewalt zu beherrschen, gab der Politiker zu bedenken. »Seit dem Turmbau zu Babel haben wir uns mehr zugetraut, als wir tatsächlich können«, sagte Lammert.

An die biblische Geschichte vom Bau jenes Turmes, den seine Erbauer »bis in den Himmel ragen« lassen wollten, und an weitere Beispiele menschlicher Selbstüberschätzung erinnerten auch mehrere Sprecher an der Gorlebener Kreuzweg-Station am vergangenen Sonntag. Mit Blick nach Japan mahnte der Umweltbeauftragte des Bistums Hildesheim, Jürgen Selke-Witzel: »Unser Energiehunger kann Katastrophen auslösen.«

Auch die Gebete während des Kreuzweges richteten sich auf Fukushima. Sie galten unter anderem den schwangeren Frauen, die sich um ihre ungeborenen Kinder sorgen, und den Einsatzkräften, die in den Reaktoren verstrahlt worden sind. In einem der Gebete wurde die Hoffnung laut, dass künftige Entscheidungen in puncto Energie nicht »von der Gier nach Geld und Macht« bestimmt werden.

Unter denen, die nach sechs Kilometern Fußweg entlang des Waldes bei Gorleben die Kirche im Wendlanddorf Trebel erreicht hatten, war die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Im Rahmen einer Andacht stellte sie die Frage in den Raum, ob die entscheidenden Politiker in der Lage sind, die Katastrophe von Fukushima richtig zu bewerten. Nämlich so, dass sie »die Finger von einer Technologie lassen, die sich bei einem schweren Störfall nicht mehr beherrschen lässt«. Immer wieder habe es »zwischen Tschernobyl und jetzt« deutliche Warnungen vor den Folgen der Atomkraft gegeben, durch »Störfälle, die in der Nähe einer Kernschmelze waren« – beispielsweise im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel.

Ihre große Hoffnung, so Rebecca Harms, richte sich nicht auf die Regierenden, sondern darauf, dass Bürgerinnen und Bürger sich angesichts des »furchtbaren Erlebnisses von Fukushima« entschiedener als bisher einmischen und sagen: »Es muss Schluss sein mit diesem atomaren Risiko.« Es hänge »von uns allen« ab, ob eine von Vernunft getragene Politik gemacht wird. Nicht zugelassen werden dürfe, dass Verantwortliche an der Spitze von Staaten »mehr an ihr politisches Überleben denken als an das Überleben überhaupt«.

Rückkehr an das Asse-Tor

Am kommenden Sonntag wird Salzgitter Station beim »Kreuzweg der Schöpfung« sein. Enden wird die Aktion am 10. April am Pannen-Atommülllager Asse. Das mitgetragene Kreuz wird an jener Stelle aufgestellt, wo der Baum, von dem sein Holz stammt, rund 70 Jahre lang wuchs. Er stand nahe dem Tor, durch das fast 130 000 Fässer mit atomarem Müll gekarrt wurden – in ein Bergwerk, das auch einmal als »sicher« bezeichnet worden war.

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