Schweden: Kirunas Kirche auf Rädern

Das historische Gotteshaus der nordschwedischen Bergbaustadt zieht um

Bergbaustadt – Schweden: Kirunas Kirche auf Rädern

Kiruna. Nach acht Jahren Planung und Vorbereitung ist es so weit: Am Dienstagvormittag um Punkt acht Uhr begann der spektakuläre Umzug der Kirche im nordschwedischen Kiruna. Am Wochenende hatte das Gotteshaus einen ersten Test erfolgreich bestanden und dabei 30 Meter zurückgelegt.

Ein großes Medienaufgebot begleitet das technische und logistische Mammutprojekt. Zwei Tage lang soll das 672 Tonnen wiegende Gebäude, das größte in Holzbauweise errichtete in ganz Schweden, über eine fünf Kilometer lange Strecke vom alten Stadtkern zu seinem künftigen Standort im neuen Zentrum der Bergbaustadt rollen – wieder auf einem Hügel gelegen. Dafür wurde der gesamte Kirchenbau mit einer Grundfläche von 40 mal 40 Metern auf viele Räder gesetzt. Die für diesen Schwertransport extra angelegte Piste ist dreimal so breit.

Durchgeführt und bezahlt wird die Umsetzung der kulturhistorisch bedeutsamen Kirche in einem Stück vom staatseigenen Bergbauunternehmen LKAB. Das Abtragen und Wiederaufbauen des Gebäudes am neuen Ort waren während der Projektierung verworfen worden. Zu den Kosten des Projektes macht der Staatskonzern keine Angaben.

Schwedens nördlichste Stadt weit hinter dem Polarkreis mit rund 18 000 Einwohnern ist LKAB-Land. Bis heute hängen fast alle Arbeitsplätze hier an dem 1890 gegründeten und seit 1976 komplett staatlichen Unternehmen. Kiruna, das 1914 das Stadtrecht erhielt, entwickelte sich nach seiner Anlage als Werkssiedlung für den Erzabbau um 1900 zu einer Schatzkammer des skandinavischen Landes. Im Zweiten Weltkrieg belieferte das offiziell neutrale Schweden von hier aus das Dritte Reich mit dem kriegswichtigen Eisenerz. Transportiert wurde es über den eisfreien Hafen von Narvik in Norwegen, das am 9. April 1940 von der Deutschen Wehrmacht besetzt wurde.

Das Bergbaurevier in der Provinz Norbotten besitzt die reichste Eisenerzmine Europas und die größte der Welt, die Untertage fördert. Ihre Abraumhalden drücken der Landschaft einen groben Stempel auf und belasten die Umwelt. Die Eisen- und Stahlproduktion in der EU hängt überwiegend am besonders reinen Erz vulkanischen Ursprungs aus der schräg unter der Stadt verlaufenden Lagerstätte. Pro Jahr werden rund 25 Millionen Tonnen gefördert. Das LKAB-Werk in Svappavaara bei Kiruna verwandelt das Erz in Pellets, die dann mit Güterzügen transportiert werden.

Damit das immer so weitergeht, muss, so wie ihre Kirche, fast die ganze Stadt wandern, die der Erzberg Kiirunavaara (das nordsamische Wort für Berg des Scheehuhns) mit dem markanten Lüftungsschacht der Grube überragt. Denn um an das wertvolle Magnetitvorkommen zu gelangen, frisst sich die Mine immer weiter in das Gestein. Weil die meisten Teile der Stadt und das alte Zentrum auf Lagerstätten stehen und die Gebäude bei deren Erschließung gefährdet wären, wurde vor 15 Jahren beschlossen, bis 2033 schrittweise ein neues Kiruna fünf Kilometer weiter östlich zu bauen. Der Bau des neuen Zentrums ist bereits weit fortgeschritten.

Mit der Verlegung der Kirche vervollständigt diese Moderne nun ein Wahrzeichen aus den frühen Tagen von Kiruna, das Eingeweihten als Startplatz für Höhenforschungsraketen und Ballons bekannt ist. Erbaut wurde Kiruna kyrka zwischen 1903 und 1912 nach Plänen des schwedischen Architekten Gustaf Wickman. Sie gilt als wichtiges Zeugnis der nationalromantischen Architektur des Landes. Dabei verbindet sie die Tradition der mittelalterlichen Stabkirchen Skandinaviens mit der Konstruktionsweise der Koten, samischer Behausungen. Weil es allen als Begegnungsort offenstehen sollte, findet sich ein Kreuz nur im Inneren des Gebäudes.

Ein schwacher Trost für die indigene Bevölkerung Lapplands, die von der Rentierzucht und der Jagd lebte und für den Bergbau von ihrem Land verdrängt wurde. Dennoch ist die Kirche damit auch ein Symbol für Lappland und die Samen, deren kulturelles Zentrum Jokkmokk sich nicht einmal zweihundert Kilometer südlich von Kiruna befindet – ein Katzensprung für schwedische Verhältnisse. Die weitaus kürzere Reise des Gotteshauses stellt eine ingenieurtechnische Meisterleistung dar.

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