Blockade nach Stoppuhr?

Sitzblockaden erfreuen sich wegen ihrer Wirksamkeit zunehmender Beliebtheit bei Demonstranten. Ob beim Castortransport in Gorleben oder dem Naziaufmarsch in Dresden, tausende Menschen setzen sich und ihren Protest auf Schiene und Straße – in der Überzeugung legitim zu handeln und dem Bewusstsein, mit Strafverfolgung rechnen zu müssen.

Nun entschied das Bundesverfassungsgericht im Fall der Blockade einer Zufahrt zu einem US-Luftwaffenstützpunkt, dass Sitzblockaden vom Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gedeckt sein können, auch wenn es sich dabei im Rechtssinn um Gewaltausübung handele. Bei der Frage der Strafbarkeit müsse geklärt werden, ob die Blockade im Verhältnis zum politischen Ziel als verwerflich anzusehen ist. Im konkreten Fall hätte berücksichtigt werden müssen, wie lange die Aktion dauerte, ob sie angekündigt war, ob es Ausweichmöglichkeiten gab. Damit formuliert das Gericht formale Kriterien für die Beurteilung der »Verwerflichkeit« eines Blockadeprotests. Einmal Demo gegen den Irak-Krieg? Augenblick – das macht Straffreiheit für eine angekündigte Zehn-Minuten-Blockade.

Die Entscheidung des Gerichts, Sitzblockaden nicht von vornherein als Nötigung anzusehen, ist zwar begrüßenswert. Doch mit den angeführten Kriterien haben künftige Blockierer kein Stück Sicherheit hinzugewonnen. Beispiel Naziaufmarsch: Ziel ist es, diesen mit Sitzblockaden zu verhindern – nicht nur ein bisschen rumzusitzen nach Stoppuhr, damit die Aktion möglichst nicht als verwerflich anzusehen ist. So werden Blockierer auch in Zukunft in Kauf nehmen müssen, für ihr (legitimes) Handeln womöglich verurteilt zu werden.

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