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Immer Stress mit den Jungs!

Eine GEW-Studie sieht keine systematische Benachteiligung männlicher Schüler

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 4 Min.
Werden Jungs in der Schule systematisch durch eine »verweiblichte Pädagogik« benachteiligt? Dieser Frage ging jetzt im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Universität Potsdam in einer Studie nach. Die Antwort ist eindeutig: Nein!

Jungs werden in einer verweiblichten Schule übervorteilt, so lautet seit den 1990er Jahren die These, die von den Medien begeistert aufgenommen und von Experten eifrig untermauert wurde. Die schlechten Leistungen der Jungs, die sich aus der PISA-Studie ergaben, forderten schließlich eine angemessene Erklärung. Der Schwarze Peter wurde den Lehrerinnen und Erzieherinnen zugeschoben. Nur noch die Mädchen würden gefördert und den Jungs werde ein feminines Verhalten aufgezwungen. »Die Verlierer im deutschen Bildungssystem sind männlich«, meldete auch das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft. Doch das Postulat der übergangenen Jungen und übermächtigen Frauen fand damals auch Kritiker, etwa den Männerforscher Jürgen Budde von der Universität Halle-Wittenberg, der darauf aufmerksam machte, dass es sich bei den abgehängten Jugendlichen vor allem um Migranten beiderlei Geschlechts handele. Er vermutete damals, dass der Nachrichtenwert von zurückgesetzten Jungs höher war und sah in der Debatte außerdem »antifeministische Züge«.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wollte es genau wissen: Anhand einer Studie ist sie den Fragen – ob unser Bildungssystem Jungen benachteiligt und ob die »Feminisierung der Schule« dafür verantwortlich ist – auf den Grund gegangen. Der Verfasser der Studie, Thomas Viola Rieske, Psychologe und Erziehungswissenschaftler an der Universität Potsdam, weist den Zusammenhang zwischen dem schulischen Misserfolg von Jungs und einer Feminisierung von Bildung klar zurück. Die Studie stellt – wie bereits andere vorher – fest, dass vor allem die soziale Lage, Bildungsanregungen im familiären Umfeld, die nationale Zugehörigkeit und die Betroffenheit von Rassismus für den schulischen Erfolg ausschlaggebend sind. Diese Aspekte produzierten weitaus mehr Ungleichheit als die Tatsache, ein Junge oder ein Mädchen zu sein.

Die Studie belegt auch, erläutert Rieske weiter, dass Mädchen durch ihre Schulabschlüsse zunächst im Vorteil seien. »Doch es gelingt ihnen nicht, diesen Erfolg in ihrem weiteren Lebensverlauf umzusetzen.« Denn obwohl mehr Frauen (34 Prozent) das Abitur absolvieren als Männer (26 Prozent), studieren sie seltener. Frauen brechen ihr Studium seltener ab als Männer, aber promovieren nicht so oft wie Männer. Männer seien nach der Berufsausbildung häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, doch Frauen insgesamt seltener als Männer erwerbstätig. Und Frauen sind häufiger teilzeitbeschäftigt, verdienen weniger und arbeiten unter schlechteren Bedingungen als Männer. »Frauen orientieren sich Richtung Familie«, begründet Rieske diesen Trend.

Darüber hinaus zeige seine Forschung, so Rieske, dass Jungs sich selbst als begabter und kompetenter als Mädchen einschätzen. Sogar in Bereichen, in denen sie Mädchen unterlegen sind. Als Folge davon würden schwache Leistungen bei Jungen oft damit begründet, dass sie ihr geistiges Potenzial nicht ausschöpfen. Bei Mädchen hingegen würden sie gerne als Ausdruck begrenzter Fähigkeiten begriffen. Umgekehrt gelten hohe Leistungen bei Jungs als Ergebnis ihres Intellekts und bei Mädchen als Resultat von Förderung und besonderen Umständen. Aus dieser Situation könne man nicht schließen, dass Jungs inzwischen einer Benachteiligung ausgesetzt sind wie Mädchen sie früher erlebt haben, bilanziert Rieske.

Anne Jenter, GEW-Vorstandsmitglied, weist Vorwürfe an den Feminismus zurück: »Feminisierung hat nichts mit den Misserfolgen von Jungs zu tun und lenkt eher von anderen Schwierigkeiten im Bildungssystem ab. Dazu gehören insbesondere die soziale Auslese und die Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund.« Anhand mehrerer Studien lasse sich beweisen, dass Frauen Jungs nicht schlechter benoten, dass Kinder zufriedener seien, wenn sie eine Klassenlehrerin haben und dass sich Leistungsunterschiede vor allem nach der Grundschule zeigten, wenn der Anteil an männlichen Lehrern steigt.

Schule sei kein weibliches Biotop, formuliert die Studie, sondern bilde die übliche Arbeitsteilung ab: Männer sind für Entscheidungen und Wissen zuständig, Frauen kümmern sich um die Organisation des Alltags und die Erziehung. Verhaltenprobleme von Jungs in Schulen würden bereits seit Langem innerhalb der Frauenbewegung diskutiert, betont Jenter. »Schon früher gab es Studien, die zeigten, dass Jungs sitzenbleiben und Mädchen fleißiger sind«, ergänzt Rieske. »Es ist die Konstruktion von Männlichkeit – Stärke, Selbstvertrauen, eher nicht fleißig sein –, die nicht mit den Schulanforderungen korreliert.«

Werden die Interessen von Jungs in der Schule zu wenig berücksichtigt? Jungs als eine einheitliche Gruppe zu verstehen, antwortet die Studie, sei zu eng. »Bei den Lehrern muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie im Alltag Geschlechterstereotypen konstruiert werden und wo Geschlechterhierarchien existieren«, fordert Jenter. »Wir wollen keine geschlechtsspezifische Erziehung nach dem Motto: Abenteuerromane werden nur von Jungen gelesen.« Beispielsweise stimme auch das Bild des Familienernährers nicht mehr und diese Veränderungen müsse die Schule aufgreifen.

»PISA stellt nur Leistungskompetenzen fest, aber nicht die sozialen Leistungen«, kritisiert Jenter. »Mädchen seien in der Schule soziales Schmiermittel. Das ist eine Anpassungsleistung, die sich für Mädchen vermutlich nicht lohnt.« Notwendig sei eine Forschung über die Fähigkeit zur Durchsetzung, zur Empathie, zur Erkenntnis sozialer Ungerechtigkeit und zur politischen Gestaltungsfähigkeit.

Männer in pädagogischen Berufen: Unbedingt. Die GEW hält einen Anteil von 30 Prozent für anstrebenswert. Nur, gibt Jenter zu bedenken, ein Geschlechtskonzept, das Männlichkeit mit Überlegenheit, emotionaler Distanz und Konkurrenzstreben verknüpft, helfe niemandem weiter – weder in der Schule noch anderswo in der Gesellschaft.

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