Andere Wege suchen – aber wohin?

Was Kommunisten wollen

  • Hannes Hüfken
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Gruppe [pæris] beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit gesellschaftlichen Alternativen zur Marktwirtschaft. Im vergangenen Jahr organisierte sie eine Veranstaltungsreihe zu ökonomischen Organisationsmodellen. Diskutiert wurden dabei unter anderem die Vorschläge von Micheal Albert (»Parecon«) und von Takis Fotopoulos (»Umfassende Demokratie«).
Nun ist eine Fortsetzung der Reihe mit Christian Siefkes geplant zur Frage kooperativer Koordination von Produktionsabläufen.

Dafür oder – meist – dagegen: Alle hatten eine Meinung in der jüngsten Debatte um den Kommunismus. Auffälligerweise hielt es kaum jemand für nötig auszuführen, welcher Inhalt mit dem Begriff gemeint ist. Es sei eben eine Utopie, der Aufbau einer besseren Welt oder die politische Agenda des real gescheiterten Sozialismus. Die Gesellschaft soll anders und besser werden, und Kommunisten versuchen das mit ganz radikalen Mitteln.

Peter Ruben erklärt (ND vom 8./9.1.2011): Kommunismus ist, wenn die Produktionsmittel Gemeineigentum sind. Das steht so immerhin auch im »Kommunistischen Manifest«. Und Erhard Crome, unter Bezug auf Ruben, fügt hinzu (ND vom 22./23.1.2011): Die Verfügung durch den Staat sei dann nur »folgerichtig«. Zu welcher Unterdrückung das geführt hat, muss man niemandem erklären. Linke sollten deswegen die Grundelemente moderner Gesellschaften (Eigentum, Markt, Staat) nicht abschaffen wollen, sondern vielmehr nutzen, um der Emanzipation diesmal wirklich auf die Sprünge zu helfen.

In dem Punkt ist man sich mit dem politischen Gegner einig. Auch der ist überzeugt, dass gesellschaftliche Planung der Produktion nur zu Terror und Unterdrückung des Einzelnen führen kann, und macht das Bekenntnis zu Eigentum und Markt zum Prüfstein demokratischer Gesinnung.

Doch bevor man über vermeintlich notwendige Folgen der kommunistischen Idee oder alternative Mittel zur ihrer Verwirklichung spricht, könnte man klären, welche politischen Zwecke eigentlich verwirklicht werden sollen. Nur am Maßstab politischer Zwecke lassen sich gesellschaftliche Organisationsformen überhaupt auf ihre Brauchbarkeit prüfen. Nur so kann festgestellt werden, ob Mittel verfügbar sind, um diesen Zweck zu verwirklichen, oder ob man sich auf die Suche nach besseren Mitteln begeben möchte.

Eine kommunistische Gesellschaft wäre sinnvollerweise zu verstehen als eine, deren Produktion und gesellschaftlicher Verkehr den Zweck haben, die Bedürfnisse aller Einzelnen ernstzunehmen und möglichst zu befriedigen. Aus der Analyse der Funktionsmechanismen einer auf Privateigentum basierenden Ökonomie schließen Kommunistinnen und Kommunisten, dass diese einer ernsthaften Berücksichtigung der Bedürfnisse aller entgegensteht: Durch die private Verfügung über von allen benötigte Produktionsmittel werden systematisch Interessengegensätze eingerichtet, ein Zwang zur Konkurrenz, ein privates Kommando über fremde Arbeit und der Ausschluss aller nicht Zahlungsfähigen von Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung. Will man diese Folgen nicht, braucht man also einen grundlegend anderen – kollektiven – Mechanismus gesellschaftlicher Koordination und Verteilung.

Damit ist noch nicht gesagt, wie eine kollektive Verfügung über die Produktionsmittel organisiert werden kann, damit tatsächlich alle mit ihren Wünschen und Bedürfnissen Berücksichtigung finden. Inwiefern aber wäre es von diesem Zweck ausgehend »folgerichtig«, wie Crome schreibt, sich des Instruments Staat zu seiner Durchsetzung zu bedienen und in der »Abschaffung von Freiheit und Demokratie« das Mittel zu sehen, dies zu verwirklichen? Müsste man nicht im Gegenteil festhalten, dass das Ernstnehmen von Bedürfnissen gerade die wirklich verallgemeinerte freie Entfaltung der Einzelnen bedeutet – also das, was die Ideologen der Marktwirtschaft fälschlich dieser zugutehalten? Und dass Bedürfnisse nur eine Rolle spielen können, wenn sie frei geäußert werden und wenn gemeinsame Angelegenheiten in kollektiven Aushandlungsprozessen geregelt, statt von übergeordneten Instanzen (seien es Staaten oder private Eigentümer) verfügt werden? Bedürfnisse sind nicht einfach ein von außen zu ermittelnder Güterbedarf. Was die Einzelnen tatsächlich brauchen oder wünschen, können sie nur selber feststellen. Eine Gesellschaft mit dem Ziel der Bedürfnisbefriedigung müsste sich also zuvorderst darum bemühen, Mittel und Wege zu schaffen, die allen die freie Äußerung ihrer Bedürfnisse ermöglichen.

»Folgerichtigkeit« ist eine auch unter Antikommunisten beliebte Denkfigur, die die Geschichte in Notwendigkeiten verwandelt. Aber es sind immer noch die in die Geschichte involvierten Akteure, die unter bestimmten Bedingungen ihre eigenen Folgerungen ziehen und danach handeln (vgl. Helmut Bock zum Kronstädter Aufstand, ND vom 5./6.3.2011). Inwiefern da »richtig« gefolgert wurde, muss sich an Zwecken messen.

Was ist also folgerichtig an einer Militarisierung der Arbeit, wie sie Lenin und Trotzki, obwohl aus Not eingeführt, dann zur vollkommenen Verkörperung des Sozialismus erklärt haben? Dies entspringt bestenfalls dem Gedanken, alle sollten sich gleichermaßen an der Arbeit beteiligen oder dass der Profit nicht in private Hände fließen soll, aber das wäre zunächst ein anderer Zweck als das Ernstnehmen von Bedürfnissen. Im Kommando über Arbeit (sei es staatlich, sei es privat) spielen die Bedürfnisse der Kommandierten per Definition keine Rolle.

Wer aber das Kommando über fremde Arbeit will, dem bleibt in Abwesenheit von privater Verfügung über die Produktion tatsächlich nur direkter Zwang. In einer Marktwirtschaft geht das eleganter: Von den Mitteln des täglichen und sonstigen Bedarfs per Privateigentum an den Produktionsmitteln ausgeschlossen, unterwirft sich die Mehrheit »freiwillig« fremdem Kommando. Wer sonst kein Vermögen hat, verkauft aus Mangel an Alternativen sein Arbeitsvermögen, um Tauschwerte für die benötigten Güter zu erlangen, und hat damit qua Verkauf die Verfügung über die eigene Arbeitskraft an den Käufer abgetreten. Da die verkaufte Arbeitszeit jedoch zugleich die Lebenszeit der daran hängenden Menschen ist, hieße eine Orientierung der Produktion an Bedürfnissen, die Menschen auch in der Arbeit als Menschen zu rehabilitieren – als ernstzunehmende vernunftbegabte Subjekte, die über ihre eigenen Angelegenheiten selbst entscheiden und, soweit davon auch andere betroffen sind, sich kollektiv mit diesen anderen einigen können.

Aber gibt es überhaupt Mittel, eine Gesellschaft so zu organisieren, dass die Bedürfnisse aller tatsächlich berücksichtigt werden? Die gängige linke Antwort heute ist ein politisch regulierter Markt. Selten wird jedoch gefragt, wieweit er diesem Ziel überhaupt dienlich sein kann. Märkte organisieren die Verteilung von Gütern einer Gesellschaft in der Form des Tauschs. Sie setzen also Akteure mit ausschließlicher Verfügung über einen Teil der Güter voraus und bringen damit eine Logik der gegenseitigen Erpressung mit dem Bedarf der jeweils anderen in die Welt. Märkte verwandeln Bedürfnisse in Interessengegensätze und Konkurrenz. Da schafft auch eine Arbeiterselbstverwaltung – wie man im sozialistischen Jugoslawien sehen konnte – keine Abhilfe, und politische Regulierung kann allenfalls abmildern, was die ökonomischen Prinzipien hervorbringen.

Christian Siefkes (ND vom 5./6.3.2011) gehört mit seinen an der Entwicklung freier Software orientierten Überlegungen zur materiellen Gemeingüterproduktion zu den wenigen, die sich aktuell Gedanken über eine bedürfnisorientierte Ökonomie jenseits von Markt und Staat machen. In den technischen Fortschritten bei der Automatisierbarkeit und Dezentralisierbarkeit der Produktion sieht er den Kapitalismus immer bessere Möglichkeiten seiner eigenen Aufhebung hervorbringen. Doch des Problems der Koordinierung von Produktionseinheiten, d.h. der Planung von Produktionsketten und -kreisläufen, ist man damit nicht enthoben. Eine komplexe Produktion entsteht nicht von allein, sondern benötigt eine Koordination der verschiedenen Produktionsschritte. Soll diese Koordination nicht über einen Markt erfolgen, muss sie bewusst vorgenommen werden. Bedauerlicherweise geistern bei dem Wort Planwirtschaft noch immer die Bilder einer staatlich betriebenen Ökonomie durch die Köpfe, die nach den Bedürfnissen nicht sonderlich fragte; die das Wertgesetz, statt es abzuschaffen, besser verwirklichen wollte als der Kapitalismus; und die zur Ankurbelung der Produktivität Interessengegensätze zwischen Planungsbüro, Betriebsleitungen und Arbeiterschaft installierte.

Was immerhin die Organisation und Planung der Produktion angeht, gibt es inzwischen andere und bessere Mittel. Dass die ökonomische Planung nicht kollektiv durch Verbraucher und Betriebe erfolgen kann, ist nicht unmittelbar ersichtlich. Wie allerdings eine solche Planung stattfinden könnte, wäre ein lohnender Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung. Ob sich die Bedingungen für eine Produktion für Bedürfnisse so vollkommen geändert haben, wie die modernen Informationstechnologien den Anschein erwecken, bedürfte einer genaueren Überprüfung. Denn die planvolle Koordination einer gesamten Ökonomie hat eine andere Stufenleiter als die informationstechnologisch durchdrungenen Lieferketten im Kapitalismus. Doch dass es ein Leichtes geworden ist, individuelle Bedürfnisse bekannt und Produktionsvorgänge transparent öffentlich zu machen, und dass die für Planung notwendigen Mittel der Informationsverarbeitung sich potenziert haben, sollte unbestritten sein.

Kommunistinnen und Kommunisten sind also nur so radikal zu fordern, dass die Bedürfnisse aller zählen sollen. Und finden es deswegen vernünftig, sich Gedanken zu machen, wie man die dafür nötigen Güter kooperativ produzieren kann, statt sich in permanentem Gegensatz zueinander und in gesellschaftlich produzierten »Sachzwängen« aufzureiben und dabei ständig Reichtum und Armut gleichzeitig zu produzieren.

Hannes Hüfken macht Politik in der Gruppe [pæris], Filme in der Gruppe Slatan Dudow und Musik mit der Band Formelwesen.

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