Vom Sinn der Strauchhecke

In Mecklenburg-Vorpommern wird nach dem tragischen Massenunfall bei Rostock über Schutzmöglichkeiten debattiert

  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der Massenkarambolage im Sandsturm am Freitag auf der A19 wird die Ursache für das Unglück gesucht. Hätten Bäume und Sträucher die Sandmassen aufhalten können?

Schwerin/Neubrandenburg (Agenturen/ND). Der Massenunfall im Sandsturm auf der A19 in Mecklenburg-Vorpommern hat die Diskussion über Windschutzstreifen auf Feldern neu entfacht. »Da liegt einiges im Argen«, sagte der Professor im Fachbereich Landschaftsarchitektur an der Hochschule Neubrandenburg, Mathias Grünwald, im dpa-Gespräch. Gebraucht würden Feldhecken, nicht nur entlang der Straßen. Die Landwirtschaft aber sei nur an Großflächen interessiert, die sich gut bearbeiten ließen. »Jetzt haben wir die Kehrseite davon gesehen.«

Am Freitag hatten Sturmböen von Feldern bei Rostock Erdreich abgetragen und durch die Luft gewirbelt. Kraftfahrern auf der Autobahn 19 war die Sicht genommen, 80 Autos rasten ineinander, es gab acht Tote.

Wer Wind sät

Nach Überzeugung von Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) hätten Windschutzhecken die Karambolage nicht verhindert. »Das waren feinste Humuspartikel, die der Sturm aufgewirbelt hat«, sagte er. »Vor Verwehungen, ob von Schnee oder Sand, gibt es keinen wirksamen Schutz.« Eine ausgeräumte Landschaft, wie sie in der DDR entstand, weise jedoch ein gewisses Gefährdungspotenzial auf, gab der Minister zu, der ein Befürworter von Feldhecken ist. »Wir haben wegen der Großraumlandwirtschaft Lösungen zu suchen.«

»Jedem Landwirt muss das Herz bluten, wenn er sieht, wie die Ackerkrume davonweht«, meinte Grünwald. Dass unbedeckter Boden bei Trockenheit weggetragen wird, »gehört zum Erfahrungsschatz seit der Jungsteinzeit«, kommentierte er. Im Frühjahr seien hauptsächlich jene Felder kahl, auf denen Mais gelegt werden soll. Eine Zwischenfrucht, die als Gründünger untergepflügt werde, sei sinnvoll. Wo jetzt Winterweizen oder -raps wachse, gebe es das Erosionsproblem nicht.

Backhaus unterstrich dagegen, die Landwirtschaft treffe keine Schuld an dem Massenunfall. Mitarbeiter einer Agrargenossenschaft hätten den Acker an der Autobahn gepflügt und für den Kartoffelanbau vorbereitet. Backhaus hält es aber für sinnvoll, fünf Prozent der Agrarflächen für ökologische Leistungen bereitzustellen – wie das Anlegen von Hecken, die Winterbegrünung, die Renaturierung von Söllen (Wassersenken), wie er weiter sagte. Was bisher auf einem Anreizsystem basiere, sollte mit der europäischen Agrarpolitik in der neuen Förderperiode nach 2013 obligatorisch werden, schlug er vor. Grünwald zufolge sind Strauchhecken optimal gegen Winderosion. Sie böten viele Vorteile. »Der Flächenverlust wird mehr als wettgemacht.« So seien die Erträge auf eingefriedeten Flächen besser, weil der Humus gehalten werde und die Luftfeuchtigkeit im Bereich der Hecken größer sei, was zu mehr Bodenfruchtbarkeit führe. Gegenspieler zu Schädlingen wie Getreideblattläusen fänden in Hecken ein Refugium.

Pauschal-Kritik verbeten

Die Landesvorsitzende der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern, Silke Gajek, sagte: »Im Zuge des Klimawandels werden Extremwetterlagen zunehmen. Die Landwirtschaft muss sich darauf einstellen.« Nach ihren Worten sind etwa 65 Prozent der Agrarflächen im Land potenziell durch Winderosion gefährdet, 25 Prozent gelten als stark gefährdet. »Das Problem ist bekannt, getan wird aber viel zu wenig, dieser Gefahr entgegenzutreten«, sagte sie. Auch der FDP-Landtagsabgeordnete Gino Leonhard sprach sich dafür aus, das Anpflanzen von mehr Windschutzhecken zu prüfen.

Ralf Benecke vom Landesbauernverband Mecklenburg-Vorpommerns wies die Kritik an der Landwirtschaft als »pauschal« zurück. Bei dem extremen Wind und der lang anhaltenden Trockenheit der vergangenen Wochen »hätte es auch eine Hecke als Windschutz entlang der Autobahn schwer gehabt, viel Sand und Erde zurückzuhalten«, sagte Benecke.

Arndt Müller vom BUND in Mecklenburg-Vorpommern sagte, es fehlten zwischen den riesigen Feldern Hecken und Knicks, die aufgewirbelte Erde und Sand aufhalten könnten. »Es gibt kaum noch bremsende Strukturelemente in der Landschaft.« Das gelte nicht nur bei Sandstürmen, sondern auch bei Schneeverwehungen.

Klee über den Winter

Müller verwies zudem darauf, dass Böden besser gefestigt würden, wenn sie über den Winter zum Beispiel mit Klee oder Luzernen bepflanzt würden, die im Frühjahr untergepflügt werden könnten. »Dann gibt es keine derart ausgetrocknete Bodenkrume«, sagte der Umweltschützer.

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