Wände streichen ist keine Lösung

Flüchtlinge aus ganz Deutschland trafen sich zum Aktionstag in Zella-Mehlis

  • Peter Nowak, Zella-Mehlis
  • Lesedauer: 4 Min.
Schlimmer als Knast, hier ein »Heim« in Baden-Württemberg
Schlimmer als Knast, hier ein »Heim« in Baden-Württemberg

»Wir sind Menschen und wir haben Rechte!« Darauf beharren Flüchtlinge auch im Thüringer Zella-Mehlis. Sie trafen sich am Ostersonntag zum Aktionstag.

Musik und Trommeln waren am Sonntagnachmittag im Industriegebiet von Zella-Mehlis zu hören. Vor dem Gebäude der Industriestraße 29 hatten sich knapp 100 Menschen versammelt. Viele sind Flüchtlinge aus der gesamten Republik, die über Ostern an einer antirassistischen Konferenz in Jena teilgenommen hatten.

»Im Anschluss sind wir nach Zella-Mehlis gefahren, um die Bewohner in diesem Lager zu unterstützen«, berichtete Wantchoucou, der sich seit Jahren im Rahmen des Netzwerks The Voice für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt. Ein besonderes Anliegen ist für ihn er Kampf gegen die Residenzpflicht, die Flüchtlingen verbietet, den ihnen zugewiesenen Landkreis ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde zu verlassen. Für Wantchoucou ist das eine klare Verletzung des Grundrechts auf Bewegungsfreiheit.

Die Aktion am Sonntag in Zella-Mehlis sei auch ein Akt des zivilen Ungehorsams betonte er. Schließlich hat sich ein Großteil der Teilnehmer über die Residenzpflichtregelung hinweggesetzt, um die Flüchtlinge in der Thüringer Stadt zu unterstützen. Die hatten im März in einen Offenen Brief auf unhaltbare hygienische Zustände im Lager hingewiesen. So sei es an vielen Wänden zu Schimmelbefall gekommen. »Die Behörden sind nach unseren Protesten verwirrt, aber geändert hat sich bisher wenig«, beschrieb Heimbewohner Miloud El Cherif aus Algerien die Situation. Allerdings wäre es auch keine Lösung für ihn, wenn die Wände des Heims bunt angestrichen würden, betonte er. »Das Problem ist die Enge, die isolierte Lage zwischen Fabrikgebäuden, Autobahn und Wald und die ständige Kontrolle«, erklärte El Cherif und zeigte auf den Eingang. Dort achtet Wachpersonal darauf, dass keine Unbefugte das Heim betreten.

Tatsächlich kam es auch zu einem Wortgefecht zwischen Bewohnern und den Wachdienst. Nach wenigen Minuten aber war der Konflikt entschärft. Doch er machte deutlich, wie angespannt die Situation in dem Heim ist.

Lahal Sharif kommt aus dem Irak und lebt schon mehrere Jahre in dem Heim am Rande von Zella- Mehlis. »Wichtige Jahre meines Lebens lebe ich wie im Gefängnis«, klagte er. Ihm seinen so viele Möglichkeiten eines normalen Daseins genommen worden. Bevor er nach Deutschland floh, war er erfolgreicher Boxer. Noch immer ist sein Aufenthaltsstatus ist noch immer ungeklärt. »Die Ungewissheit und die Lebensumstände macht vielen Menschen auch psychisch zu schaffen«, sagte Selam Shenam. Die syrische Oppositionelle lebt ebenfalls in Zella-Mehlis und beteiligt sich am Kampf für die Schließung des Heims. Einige Bewohne schauten aus dem Fenster und signalisierten durch Applaus Zustimmung, als die Kundgebungsteilnehmer »das Heim muss weg« skandieren.

Doch sie trauen sich nicht an der Aktion teilzunehmen. Dazu trägt auch die Präsenz der Sicherheitsleute und der Sozialarbeiter bei, die schließlich auch für die Bewilligung von Eingaben und die Verteilung von Gutscheinen zuständig sind.. »Daher befürchten manche Heimbewohner Nachteile, wenn sie sich offen an den Protesten beteiligen«, meinte Shenam.

Am Ostersonntag unterstützten nur einige junge Menschen aus dem nahen Suhl die Kundgebung. Doch es gibt Kontakte in die Region, unter anderem zu evangelischen Kirche und zur Linkspartei, berichtete El Cherif. Die Kontakte würden gepflegt und werden sicher noch sehr wichtig. Die Flüchtlingsaktivisten kündigten an, die Proteste vor dem Heim fortzusetzen, bis es geschlossen wird und die Bewohner in eigenen Wohnungen leben können.

Dass diese Forderungen keine Utopie bleiben müssen, zeigte sich in Suhl. Während dort Flüchtlinge in eigenen Wohnungen leben können, hält die Ausländerbehörde von Schmalkalden-Meiningen, die für Zella-Mehlis zuständig ist, weiter an dem Heim fest. Viele Flüchtlinge mutmaßen: »Wir sollen an den Rand gedrängt und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden«, beklagte Wantchoucou. Ans Aufgeben denken weder er noch seine Mitstreiter. Sie beharren darauf: »Wir sind Menschen und wir haben Rechte!«

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