Kunde kauft oft mehr Versicherungsschutz ein, als er tatsächlich benötigt

ND-Serie: Welche Versicherungen Sie wirklich brauchen (Teil 1)

  • Lesedauer: 4 Min.
In einer Artikelserie zum umfangreichen Thema Versicherungen behandelt unser Autor HERMANNUS PFEIFFER, Wirtschaftspublizist in Hamburg, fortan jeden Mittwoch an dieser Stelle unterschiedliche Aspekte und Probleme über Versicherungen im Alltag, über Sachversicherungen oder Versicherungen zur Gesundheit und zur Arbeit. Wie können Sie ihre Wohnung schützen? Wer zahlt bei einem Verkehrsunfall auf der Fahrt zum Fußballtraining? Lohnt sich für Auszubildende eine Berufsunfähigkeitspolice? Heute im Teil 1 geht es um die unübersichtliche Vielfalt an Versicherungsangeboten und um die nur bedingt besseren Vergleichsmöglichkeiten für die Verbraucher.

Die deutschen Versicherungsgesellschaften kassierten im vergangenen Jahr 180 Milliarden Euro von ihren Kunden als Prämie – wieder einmal ein neuer Rekord. Bundesbürger legen nun einmal viel Wert auf ihren finanziellen Schutz und gönnen sich vom Kleinkind bis zur Uroma im Durchschnitt fünf verschiedene Policen pro Nase. Viele davon hätten sie sich besser erspart.

Abzocker-Paradiese verloren

Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs – oder gerade deswegen – gab es in der Vergangenheit nicht immer nur gute Noten für die Versicherungsbranche. Die Verbraucherzentralen, die Stiftung Warentest oder der Bund der Versicherten wiesen meistens zu Recht auf die Schwachstellen hin, die vielen Kunden im Notfall, also im Versicherungsfall, das Leben schwer machen.

Nicht alle Schlupflöcher in Verträgen konnten gestopft werden, seit 1994 der Europäische Binnenmarkt in den abgeschotteten bundesdeutschen Markt mit Donnerhall einbrach. Die Versicherer verloren ihr Abzocker-Paradies. Nach und nach lösten sich die faktischen Kartelle auf, die bis dahin den Versicherungskonzernen in Westdeutschland hohe Extra-Profite und ein geringes Risiko garantiert hatten.

Nach und nach drängten auch ausländische Anbieter auf den lukrativsten Markt in Europa. Billiganbieter kamen hinzu, die den Etablierten erst per Telefon und Brief, dann per Internet das kommerzielle Leben schwerer machten – und heute meistens diesen großen Konzernen gehören. Selbst Banken, Sparkassen und Investmentfonds begannen nach 1994, im Revier der Versicherer zu wildern, vor allem bei gewinnbringenden Lebensversicherungen, mit denen die Assekuranz bis heute die Hälfte ihres Umsatzes und noch mehr ihres Gewinnes macht.

Nutzen vom EU-Binnenmarkt haben nicht alleine die Konzerne, sondern auch die Kunden, lobte der viel zu früh verstorbene Wolfgang Scholl vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). »Der Wettbewerb«, sagte Scholl um die Jahrtausendwende, »ist seit 1994 schärfer geworden.« Mit der Folge, dass es einen deutlichen Preisnachlass etwa bei Kfz-Policen gab. Auch die »Bedingungen«, das Kleingedruckte in den Verträgen, wurde für Versicherte fairer und attraktiver gestaltet. Anderseits, so Scholl, sieben die Versicherer stärker als früher aus, beispielsweise bei Berufsunfähigkeitspolicen. Unterm Strich, so Scholl, ist »die Angebotslandschaft komplizierter geworden«.

Dieses Fazit ist auch im Jahre 2011 noch aktuell. Grundsätzlich stimmten sogar die Sicherheitsverkäufer Scholl zu. »Wir sehen auch die neue Unübersichtlichkeit«, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Diese sei jedoch der Preis für die Vielfalt an Versicherungsprodukten, die nach 1994 entwickelt und auf den Markt geworfen wurden und nun auf »jede Kundengruppe zugeschnitten sind«.

Mehr vergleichbare Angebote

Angesichts der unübersichtlichen Vielfalt wünschte sich der Verbraucherdachverband VZBV Angebote, »die vergleichbarer werden«. Dazu sollten alle Versicherer eine kurze Kerninformation über ihre Produkte mit den wichtigsten Punkten des Vertrages verfassen. Erst durch einen solchen Beipackzettel, argumentierte Experte Scholl, würden die Angebote mehrerer Versicherer für Laien wirklich vergleichbar.

Mit der Neufassung des Versicherungsrechts ist die Politik 2008 einen Schritt in diese Richtung gegangen. Bislang schaffte das nur bedingt bessere Vergleichsmöglichkeiten für die Verbraucher. Immer noch ist längst nicht jede Police sinnvoll. Wahrscheinlich gibt es heute mehr Produkte als je zuvor, die vor allem zweien nutzen: dem Verkäufer und dem Versicherer.

Ein typisches Beispiel ist ein Paket, das vorgeblich für »den Skifahrer« geschnürt wurde. Es beinhaltet sowohl eine Unfall- und Haftpflichtversicherung als auch Rechts- und Versicherungsschutz bei Skibruch und Diebstahl. Mit solch überkandidelten Produkten zielt die Branche vor allem auf spezifische Gruppen.

Fachfremde Zusatzleistungen

Entsprechend stellen Versicherer Spezialangebote für junge Familien, Senioren und Firmengründer unter 30 Jahren bereit. Häufig werden Versicherungsprodukte mit fachfremden Zusatzdienstleistungen aufgepeppt. Solche sogenannten Assistance-Angebote bieten notfalls einen Ersatzwagen, juristischen Beistand oder eine Haushaltshilfe an.

Schnell wird ein bunter Strauß aus verschiedenen Produkten gebunden. Für Verbraucher kann das ein allzu teures Bukett werden, vor allem, weil komplexe Zusatzangebote die (verborgenen) Kosten in die Höhe treiben. Zudem kauft der Kunde so oft mehr Sicherheit ein, als er tatsächlich benötigt.

Im Teil 2 in der nächsten Woche geht es um die Haftpflichtversicherung.

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