Das Böse

Millers »Hexenjagd« in Potsdam

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist provinziell? Ein Gestus des Auftretens, nicht die geografische Lage. Im Gegenteil, Randlagen provozieren mitunter jenen Trotz, der sagt: Wo ich bin, da ist vorn. Gilt das auch für das Hans Otto Theater Potsdam, idyllisch am Ufer hingetupft wie eine Seerose?

Es gab Zeiten, da war Potsdam öfter mal vorn. Roland Kuchenbuch ist einer der letzten Schauspieler dieser Generation, er spielt auch in »Hexenjagd« mit, wie immer so prägnant, dass ihn niemand übersieht. Alexander Lang war einst »Lear« an einem Haus, dem mit (dem inzwischen verstorbenen) Ralf-Günter Krolkiewicz ein wichtiger Gegenwartsdramatiker vorstand, der von deutsch-deutschen Verwerfungen mehr als nur eine Ahnung besaß.

Mit Uwe Eric Laufenberg kam dann ein Popularisator, der ohne Scheu vor lauten Tönen Publikum und Kritik spaltete, doch nie richtig heimisch wurde – sein bestes Jahr war zweifellos die erste Spielzeit in jener längst abgerissenen »Blechbüchse« am Bahnhof, direkt gegenüber der Stelle, an dem nun das Stadtschloss wieder aufgebaut wird.

Provisorien scheinen dem Theater gut zu bekommen, so scheint es, denn seit dem das neue Theatergebäude stand, fiel das Niveau. Das begann bereits unter Laufenberg. Setzt es sich fort unter dem jetzigen Intendanten Tobias Wellemeyer, dem kürzlich ein Achtungserfolg mit seiner Inszenierung von »Der Turm« gelang? Jedesmal, wenn ich hierher in das neue Theatergebäude komme, fällt mich dessen kalte Seelenlosigkeit an. Da wirkt es wie eine jener Mehrzweckhallen, wie man sie in den siebziger Jahren baute.

Ich kann mich kaum erinnern, in letzter Zeit eine so missglückte Anfangsszene gesehen zu haben wie in Ingo Berks Inszenierung von Arthur Millers »Hexenjagd«. Ein Bett, quer in der Mitte der Bühne, die von Magda Willi mit historistischen Andeutungen im sonst unverändert gelassenen Raum versehen wurde. Darin liegt Betty, eines jener Mädchen, die bei einer ihrer nächtlich-orgienartigen Treffen im Wald von Reverend Samuel Parris überrascht wurden. Nun scheint es in eine hysterische Schockstarre gefallen zu sein.

Ihr Vater, jener Reverend, und der Rest der Familie stehen ratlos ums Bett herum, stellen Betrachtungen über mögliche Ursachen an. Eine davon: Der Satan ergriff von dem Mädchen Besitz. Das ist nicht inszeniert, das ist Stadtheater der umständlichsten, unbeholfensten Art. Nur dank starker Schauspielerinnen – in einem insgesamt nicht spielstark wirkenden Ensemble – wie Nele Jung und Friederike Walke entsteht so etwas wie Spannung zwischen den Figuren.

Von einer gegenwärtigen Frage an das Stück spüre ich nichts. Dabei wollte Arthur Miller alles andere als eine Geschichte aus der amerikanischen Provinz des 17. Jahrhunderts erzählen. Ihm ging es Anfang der 50er Jahre um McCarthys Tribunale zum Aufspüren von »unamerikanischer Tätigkeit«, um die hysterische Angst vor kommunistischer Unterwanderung. Wie entsteht plötzlich ein Klima der Denunziation, der Lüge und der Grausamkeit? Hollywood wurde ein vergifteter Ort. Wichtige Künstler wie Elia Kazan standen als Denunzianten da. Ein Berg von Schuld und Schmutz blieb von diesem politisch funktionalisierten Ausbruch kollektiver Hysterie.

Das Thema einer alarmistisch funktionierenden Mediengesellschaft, die sich puritanisch immer weiter aufrüstet und eine Verdächtigungskultur schafft – ist das etwa kein gegenwärtiger Bezug? Wie funktioniert Manipulation? Wie kann es sein, dass sich ein unschuldig im Schauprozess Angeklagter (man denke an Bucharin!) schließlich nie begangener Taten bezichtigt? Welche wahrhaft teuflichen Mechanismen sind hier am Werk?

Man verfolgt, um nicht selber verfolgt zu werden. Die Spirale der Angst. Wenn solch ein mächtiger Apparat in Aktion tritt, muss es dann nicht einen vernünftigen Grund dafür geben, auch wenn ich ihn nicht bemerke? Muss es eben nicht, wie Miller zeigt. Vernunft und sachliches Abwägen gehen immer als erstes über Bord, wenn man glaubt, mit dem Bösen im Entscheidungskampf zu liegen. Das Unheil, das man auszurotten vorgibt, verkörpert man selbst. So mündet die fehlgehende Liebe der Inquisitoren stets in Vernichtung. Gab es je einen Fanatiker, der sich für einen solchen hielt?

Das Rad der Zerstörung rollt weiter. Es droht den sich ihm Widersetzenden mit sozialer, sogar physischer Vernichtung, fordert öffentliches Abschwören, zelebriert Unterwerfungsrituale. Diese ändern in verschiedenen Gesellschaften ihre Form, aber hören sie auf? – Miller geht es um jene »Poesie der Unterstellung«, in der Anklage identisch mit Verurteilung ist. Daraus wiederum ein Gegenwartsthema zu machen, misslingt dieser Potsdamer »Hexenjagd«.

Nächste Vorstellung: 6. Mai

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