Landbau für Städtebewohner

Der Prinzessinnengarten inmitten Berlins ist ein Ort der Kommunikation und des Lernens

Im Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg finden regelmäßig Workshops beispielsweise zu Kartoffelvielfalt oder wesensgemäßer Bienenhaltung statt. Auf einem Pflanzenmarkt am Samstag, 7. Mai, 11 bis 18 Uhr, können Besucher Jungpflanzen, Saatgut und Erde für den Eigenanbau erwerben. www.prinzessinnengarten.net
Im Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg finden regelmäßig Workshops beispielsweise zu Kartoffelvielfalt oder wesensgemäßer Bienenhaltung statt. Auf einem Pflanzenmarkt am Samstag, 7. Mai, 11 bis 18 Uhr, können Besucher Jungpflanzen, Saatgut und Erde für den Eigenanbau erwerben. www.prinzessinnengarten.net

Angefangen hat es mit einer Idee: Auf einer großen Brachfläche mitten in Berlin einen Garten schaffen und dort zusammen mit den Nachbarn gärtnern. Die Anregung brachte Robert Shaw von einem Aufenthalt in Kuba mit, wo seit Anfang der 1990er Jahre Lebensmittel in eigens dafür rekultivierten Stadtgärten angebaut werden. Aber ist »agricultura urbana« in Berlin überhaupt möglich? »Es kann klappen«, sagt Marco Clausen heute und scheint darüber noch immer überrascht.

Seit Ende 2008 bewirtschaften Shaw und Clausen zusammen mit einer festen Gruppe von etwa 20 Personen den Prinzessinnengarten am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg. Ihr Engagement in den vergangenen zweieinhalb Jahren hat diesen Ort komplett verwandelt. Aus einem verwilderten und vermüllten Grundstück ist ein grünes Fleckchen Erde entstanden.

Ein lebendiger und sozialer Raum

Mit den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings erwacht das Leben auf dem 6000 Quadratmeter großen Gelände. Wenn Marco Clausen morgens das Eingangstor öffnet, stehen davor schon Menschen und fragen interessiert, was sich dahinter verbirgt.

Der Prinzessinnengarten mit Café und kleinem Restaurant hat sich zu einem Treffpunkt für Menschen aus allen Schichten und jeden Alters entwickelt, vom Anwohner bis zum Touristen, vom botanischen Laien bis zum Wissenschaftler. Er ist zu einem neuen Ort der Kommunikation im Stadtteil geworden. Besucher erinnern sich an ihre Kindheit und Jugend, erzählen von Trümmergärten der Nachkriegszeit oder ihren ehemaligen Gärten in Anatolien. Während der angebotenen Führungen berichten ihnen die neuen Stadtgärtner, mit welchen globalen Problemen sie plötzlich konfrontiert wurden, als sie begannen, lokal etwas zu verändern: Von den weltweiten Kämpfen um Saatgut bis zum Klimawandel.

Mehrere hundert Personen sind bislang in die Rolle eines Großstadtbauern geschlüpft und haben die regelmäßigen Angebote der offenen Gartenarbeitsstunden genutzt. Beim kollektiven Arbeiten machen alle Teilnehmer neue Erfahrungen. Sogar der 36-jährige Geschäftsführer Marc Clausen lernt immer noch dazu, beispielsweise von den türkischen Frauen, die am Rande eines Trampelpfads wildwachsende Pflanzen pflücken, um sie – wie sie es von ihren Müttern kennen – zu Gewürzen weiterzuverarbeiten. »Viele Menschen im Alter unserer Großeltern besitzen noch Wissen, das unserer Generation abhanden gekommen ist«, resümiert er.

Keiner, der hier sät und pflanzt, pflegt und gießt, ist Eigentümer eines Beetes. Gearbeitet wird gemeinsam und die Gärtnerinnen und Gärtner bringen dabei ihre eigenen Vorschläge ein. Dieses Vorgehen drückt das Selbstverständnis der urbanen Gärtner aus: Räume für alle zu schaffen.

Sie bauen ausschließlich Nutzpflanzen an, darunter seltene Kartoffelsorten, wie die lilafleischige Vitelotte, die beim Kochen ihre Farbe behält; oder den samenfesten, zur Nachzucht geeigneten Bantam-Mais, der von robusteren Hybridsorten verdrängt wird. Der lokale Anbau und die Sortenvielfalt zählt für Clausen weitaus mehr als das Bio-Label. »Wenn ich Gemüse unseres Gartens gegessen habe, will ich keines mehr im Bio-Supermarkt kaufen, weil das geschmacklich bei weitem nicht an unser eigenes heranreicht.« Die angebauten Nahrungsmittel werden verkauft oder in der eigenen Gastronomie verarbeitet – eine neben den Spenden wichtige Einnahmequelle zur Finanzierung des Gartens, der ohne regelmäßige staatlichen Gelder auskommen muss.

Schafft zwei, drei, viele urbane Gärten

Clausen und Shaw stehen mit der Wohnungsbaugesellschaft im Austausch, denen die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite der Oranienstraße gehören. Dort und an zahlreichen anderen Orten planen sie, weitere kleine Prinzessinnengärten einzurichten und letztlich auch etwas Bleibendes zu schaffen. Denn auf dem Eckgrundstück am Moritzplatz werden sie nicht auf Dauer bleiben können. Die Stadt schließt den Mietvertrag immer nur für ein weiteres Jahr und hofft auf einen Investor, der das Grundstück erwirbt und bebaut.

Auch wenn keiner von hier fort will, wäre alles für einen Umzug gerüstet. Der Garten ist vollständig mobil. Café und Gastronomie sind jeweils in einem Container untergebracht, die Pflanzen werden von jeher in weißen Reissäcken bzw. roten Plastikkisten angebaut, die für Bäckereien zum Brottransport hergestellt wurden.

Allerdings würde sich der Ort durch einen Wegzug der Prinzessinnengärtner abermals komplett verwandeln und seine Anziehungskraft ins Gegenteil umschlagen. Er würde keinen Platz mehr für alle Menschen unabhängig ihres Eigentums und Kontostandes bieten.

Alle Welt holt sich Anregungen

Das Interesse an Clausens und Shaws Experiment ist groß. Sogar eine kubanische Delegation schaute einmal vorbei. Der kubanische Wirtschafts- und Handelsattaché und Angehörige der Universität von Havanna informierten sich über die Umsetzung der agricultura urbana in der deutschen Hauptstadt. Dabei waren die weit gereisten Besucher insbesondere an den sozialen Komponenten des Projekts interessiert: an der Einbindung der Nachbarschaft und der Entwicklung zu einem generationenübergreifenden Bildungsgarten.

Auch aus anderen Teilen der Welt melden sich Interessierte und fragen um Rat, wie sie selbst vergleichbare Vorhaben in die Tat umsetzen können. Die Idee, mit der es 2008 begonnen hat, lebt und pflanzt sich fort.

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