Nicht Arzt: Schmerz

  • Lesedauer: 2 Min.

Die alten und fast schon alten Großmeister der Regie fehlen. Sind sie es überhaupt noch? Der Zeiten Bitternis ist der Zeiten Lauf: Sie vergeht, und zwar jedem. Manchmal war das Theatertreffen die dauernde Wiederkehr dieser üblichen Hochformatigen; es waren oft glanzvolle Jahrgänge, wahrlich: Hoch-Kultur theatralischer Sinn-und-Form-Dialektik. Zadek und Bondy, Marthaler und Castorf, Breth undundund ...

In diesem Jahr nun zweimal der exzentrische »Provinzialist« Herbert Fritsch, der von Hauptmanns »Nora« sagt: »Ein Schmarren!« – und doch ist so ein extrem Despektierlicher (der Stücke am liebsten nur oberflächlich liest, ehe er sie zu inszenieren beginnt), beim Spitzen-Treffen der Branche dabei! Aha: Ein Festival von Zugriffen wird das also, wie Welt sie verdient hat: rau, komödiantisch, hart abwinkend, wo ein schöner Schein sich zeigen will. Theater der Tempelausräucherung. Hereindrängen der Ränder. Räume werden eng gemacht, damit wir sie gut erkennen: Finsternisse einer Gegenwart, der die Einbildungskräfte auszugehen scheinen.

Dramatiker Tankred Dorst hat gesagt, über sein Theater würde er als Motto schreiben: »Wir sind nicht die Ärzte, wir sind der Schmerz.« Das Theatertreffen hätte gewonnen, würde dies, in vierzehn Tagen, zu seinem Bilanzsatz werden können. Das große kühne tiefe Schönwort-Theater geht doch nicht verloren. Weil es nötig ist und weil es doch unangreifbar in den gebildeten, lesenden Feingeist-Gemütern lebt. Da ist doch wirklich nichts zu befürchten. Aber in einer Welt, die maskiert, abwiegelt, schönfärbt, verdrängt, falsch gleißt, die groß und ewig tut in ihrem Elend – einer solchen Welt darf, gegen alle mediale Praxis, der gesellschaftsbindende Schmutz auf die Theaterbühne gekippt werden, all das Kaputte, das Zerbrochne.

Um an Tankred Dorst anzuknüpfen: Was Schmerz-Haft ist, ist: Freiheit. Zumindest der Kunst. hds

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