Freischwimmen

»Stadt Land Fluss« von Benjamin Cantu

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Von solchen Filmen träumt man lange, bis man einen findet. Er beginnt mit dem sausenden Geräusch eines Kreisregners, der eine Weide bewässert. Das nächste Geräusch könnte man, landentwöhnter Städter, der man mittlerweile ist, für ein vibrierendes Handy halten, bis der Ton lauter wird und sich als das vielstimmige Muhen von Kühen erweist. Es folgt: ein Feldweg im Nebel. Und die Geschichte von zwei jungen Männern, die noch nicht so recht wissen, wer oder was sie mal sein möchten. Von Marko, der in einer sozial engagierten märkischen Agrargenossenschaft lernt und kurz vor der Abschlussprüfung steht, aber immer noch nicht sicher ist, ob er das eigentlich je sein wollte: Landwirt. Und von Jacob, ein paar Jahre jünger, mit Wuschelhaaren, Restakne und trainierten Muskeln unter dem schwarzen Totenkopf-T-Shirt, der gerade eine Bankerlehre hinwarf, weil ihm die ganze Schlips-und-Kragen-Geschichte zu oberflächlich war. Und nun ein Betriebspraktikum macht, um mal zu sehen, ob die Landwirtschaft was für ihn sein könnte.

Ist ja schon ziemlich radikal, so direkt aus der Bank in den Kuhstall zu wechseln, kriegt er da skeptisch von Ausbilderin und Auszubildenden zu hören. Als er auf die Frage nach dem, was ein Azubi in der Bank im ersten Lehrjahr denn so monatlich verdient, »800 Euro« antwortet, schweigt der ganze Tisch erst mal stille. Wer in der Produktion arbeitet, kann von solchen Zahlen wohl nur träumen. Aber vielleicht ist ein radikaler Zielwechsel ja genau das, was Jacob gerade braucht, der sich offensichtlich wohlfühlt in der bebauten und genutzten, aber im Verhältnis zur Bank doch immer noch recht freien Natur. Und der abends zu Hause noch von Muttern bekocht wird. Marko dagegen hat schlechte Erfahrungen mit Familie gemacht – seine Mutter trank, sein Vater wurde vom Moloch Großstadt verschlungen, er selbst wohnt schon seit Jahren allein in einer WG.

Mit »Stadt Land Fluss« hat Benjamin Cantu, der in Ungarn geboren wurde, später in Babelsberg Trickfilm und in Berlin Filmregie studierte, seinen ersten abendfüllenden Film geschrieben und gedreht. Einen Spielfilm, der in die dokumentarische Wirklichkeit eines realen landwirtschaftlichen Ausbildungsbetriebes hinein inszeniert ist, wo Marko (Lukas Steltner) und Jacob (Kai-Michael Müller) drei Wochen lang die einzigen falschen Landwirte waren unter lauter echten Auszubildenden. Mitten in der Ernte noch dazu, letztes Jahr im Hochsommer, als alle im Betrieb ohnehin alle Hände voll zu tun hatten, auch wenn sie nicht ein (zwar reduziertes) Filmteam samt zwei Darstellern unter sich gehabt hätten.

Was aber anscheinend ebenso wenig ein Problem war wie die »schwule« Geschichte, die dort in ihren Betriebsalltag hinein inszeniert wurde. Denn Marko, der Außenseiter, der das Feierabendbier verweigert, nur »öko« isst – wie die anderen lästern –, auf weibliche Avancen ausweichend reagiert und auch sonst lieber für sich bleibt, findet in Jacob endlich jemanden, mit dem er Zeit und Schwarzbrotstulle teilen mag. Und auch in Jacobs Blicken von der Seite liegt bald ein vorsichtig forschendes Interesse, das ihn die Gegenwart von Marko suchen lässt, auch wenn er die der anderen nicht meidet. Dann berühren sich zwei nackte Unterarme bei der Arbeit, aus einem Blick werden mehrere, irgendwann folgt der erste Kuss – und Marko verstummt und läuft wie ein Tier im Käfig zwischen den Geräten in der Remise von Wand zu Wand. Noch wusste er nicht mal, ob er Landwirt werden wollte oder wie Familie sein kann, wenn’s nicht schiefläuft – und nun das?

Ein schwules Coming Out, auch vor sich selbst, gehört auf dem Land, wo die anderen am Abendbrottisch miese Witze über Blondinen und Hunde erzählen und was passiert, wenn man die beiden miteinander kreuzt, sicher nicht zu den leichtesten Dingen. Zumindest im wirklichen Leben nicht, wenn es nicht gerade darum geht, ein Filmteam höflich aufzunehmen.

Die Kamera von Alexander Gheorgiu, Rumäne mit Babelsberger Filmausbildung und sonst meist im dokumentarischen Bereich tätig, bewegt sich um die Figuren herum, um die echten wie die »falschen« Auszubildenden, mal ganz nah, mal parallel zu ihren suchenden Läufen durch Felder unter dem summenden Wasserstrahl des Kreisregners zur Feldbewässerung hindurch, im Kuhstall, am See, beim Gespräch am Esstisch oder mit den Ausbildern, beim Einsacken von Getreide oder dem Verladen von Strohballen. Dass »Stadt Land Fluss« auf der Berlinale im Kinder- und Jugendbereich »Generation« zu sehen war, beweist einmal mehr, wie hoch die qualitative Messlatte gerade in dieser Sektion gelegt wird. Das Ende dann ist ebenso beglückend wie, möglicherweise, märchenhaft.

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