Gott? Sie war schwarz

Das Semperoper Ballett feiert in »3 Farben Grün« die Form

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
»Artifact Suite«
»Artifact Suite«

V ielfältiger kann Tanz kaum sein als in den »3 Farben Grün« des Semperoper Balletts. Dennoch klammert die drei Werke aus knapp vier Jahrzehnten ein Gemeinsames: die Suche nach und das Spiel mit der Form.

Am Anfang die klassische Reminiszenz, als die sich George Balanchines »Smaragde« von 1967 gerieren. Unter dem grünen Diadem hoch oben und einer nach hinten abfallenden Gaze voller Funkelsteine auf Peter Harveys edler Bühne erweist Balanchine der romantischen Ära seine Reverenz. Diese symmetrieselige Apotheose auf die Schönheit des Balletts setzt noble Arme und weiche Biegungen des Körpers ein, besticht durch originelle Paararbeit, hat zwei Pas de deux zum Zentrum und greift immer wieder auf – verfeinerte – Wicklerformen der Folklore zurück. Musik von Gabriel Fauré aus den Suiten »Pelléas et Mélisande« und »Shylock« tragen das fließende Gewebe. Alle tanzen sauber, dennoch wirkt dieser Auftakt nicht durchgängig balanchinesker Körper seltsam matt und farblos.

Ganz in ihr Element gerieten die Tänzer in Mats Eks Übernahme aus dem Jahr 1995. »Sie war schwarz« geht auf das Bonmot eines Schauspielers zurück, der von Gott geträumt hatte und auf die Frage nach dessen Aussehen mit dem Titel des Werks antwortete. Der Schwede Ek wäre nicht jener Hohepriester des Skurrilen, würde er den knappen Satz nicht choreografisch ebenso wenig fassbar parieren. Statt Handlung ein Dauerfeuerwerk an Einfällen, wie Menschen miteinander umgehen und was uns tief drinnen antreibt. Auch Peder Freijs Raum lässt im Ungewissen: Tisch, Treppe, hängendes Wandstück, darunter ein Podest, sind die Requisiten und Plätze, mit und auf denen sich vornehmlich zwei separate Paare abarbeiten. Archaisch wie Gnome tun sie das, verstricken sich, von Henryk Góreckis Streichquartett Nr. 2 gedrängt, in tricksende Kabbelei, finden sich im klammernden Koitus. Auch ein schwarzes Wesen kreucht umher, häutet sich, bleibt Rätsel wie das gesamte Stück.

Ganz in Form geht William Forsythes »Artifact Suite« in der Neufassung von 2004 auf. Was der Innovator aus den USA 1984 für sein Ballett Frankfurt als tanzhistorischen Exkurs angelegt hatte, kürzte er zum Best-of, versagte sich damit jeden erzählenden Gestus und bietet so die Essenz: den Körper in Konfrontation mit dem Raum. Fast 50 Tänzer wuchtet er auf die schmucklose Szene, stellt ihnen eine Dirigentin voran, die maschinelle Armgestik vorgibt. Diese wird erst von der Gruppe übernommen, dann verarbeitet in grandiosen Rastern. So sieht man lange nur das Formergebnis, nicht den Weg dorthin. Seitlicht verschattet zusätzlich, taucht die Duette von Elena Vostrotina, Oleg Klymyuk sowie Yumiko Takeshima, Raphael Coumes-Marquet ins Geheimnisvolle. Immer prismatischer wandeln sich die Muster, hochmusikalisch Bachs Chaconne aus der Partita No. 2, BWV 1004, gegen Ende dann Eva Crossmann Hechts hämmerndem Klavierspiel angeschmiegt. Was verschachtelt wirkt, bringt Ordnung ins scheinbare Marschchaos: Bewegungsmechanik auf höchstem Niveau, tänzerisches Räderwerk aus der Forsythe-Fabrik.

Die grünen Maillots respektive Trikots schlagen den Bogen zum Titel des Abends. Laufen zwei der drei Vierzigminüter zu Musik vom Band, musiziert die Sächsische Staatskapelle unter James Tuggle den Fauré lichtvoll zart.

Nächste Vorstellung: 4.6.

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