Die befleckte Sonnenkugel

Vor 400 Jahren löste Galileo Galilei einen verhängnisvollen Gelehrtenstreit aus

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Jahr 1608 erfanden holländische Brillenmacher das Fernrohr. Von dieser Innovation erfuhr wenig später auch der italienische Mathematiker Galileo Galilei, der das Gerät sogleich nachbaute und zur Himmelsbeobachtung nutzte. Mit überwältigendem Erfolg. So sichtete Galilei erstmals die vier größten Monde des Planeten Jupiter und stellte fest, dass die Oberfläche des Erdmondes von Kratern und Bergen übersät ist.

Während all dies in der Wissenschaftsgeschichte ausführlich erzählt wird, bleibt eine andere Episode häufig unerwähnt: Der Ingolstädter Jesuitenpater Christoph Scheiner (1573-1650) betrieb zu jener Zeit ebenfalls astronomische Forschungen mit dem Fernrohr. Er tat dies anfangs an nebligen Tagen, weil er dann seinen Blick relativ gefahrlos auf die Sonne richten konnte. Dort bemerkte er 1611 sonderbare dunkle Flecken, die es da eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. Denn nach der damals herrschenden aristotelisch-scholastischen Lehre galten alle Himmelskörper jenseits des Mondes als geometrisch perfekt und unveränderlich.

Zunächst wandte sich Scheiner an den Augsburger Bürgermeister und Humanisten Marcus Welser, dem er in drei Briefen unter anderem mitteilte: Die dunklen Flecken auf der Sonne, die er, Scheiner, entdeckt und beschrieben habe, seien vermutlich Planeten oder Monde, welche die unveränderliche Sonne umkreisten. Damit schien zumindest die aristotelische Himmelslehre fürs Erste gerettet.

Bereits im Januar 1612 veröffentlichte Welser die Briefe unter einem Pseudonym und schickte je ein Exemplar an Johannes Kepler und Galilei. Während man über Keplers Reaktion nichts Näheres weiß, fühlte sich Galilei offenkundig herausgefordert. In seinem Antwortbrief behauptete er, die Sonnenflecken schon seit 18 Monaten zu beobachten. Außerdem irre Scheiner, wenn er die Flecken für Planeten oder Monde halte. Es seien vielmehr wolkenähnliche Gebilde, deren Bewegung auf die Rotation der Sonne zurückzuführen sei.

Lange hatte Scheiner die astronomischen Arbeiten von Galilei bewundert. Erst als dieser darauf bestand, der alleinige Entdecker der Sonnenflecken zu sein, trübte sich das Verhältnis der beiden Gelehrten. Dennoch wagte Scheiner einen letzten Versuch und übersandte Galilei mit höflichen Grüßen sein Buch »Disquisitiones mathematicae« (1614). Bedenkt man, dass Scheiner darin vor dem Hintergrund der Mathematik und der Bibel gegen Kopernikus argumentierte, war Galileis Reaktion eigentlich vorherzusehen. Dieser fing nun an, den Ingolstädter Jesuitenpater heftig zu attackieren und ging später sogar soweit, ihn als »Saukerl« und »bösartigen Esel« zu titulieren.

Danach gab auch Scheiner jegliche Zurückhaltung auf. Erneut griff er zur Feder und betonte in einem Buch mit dem Titel »Rosa Ursina sive Sol« (1626-1630), dass er die Sonnenflecken vor und unabhängig von Galilei entdeckt habe, dem er bei dieser Gelegenheit vorwarf, ein schlechter Beobachter zu sein. Heute geht man davon aus, dass Galilei die Sonnenflecken nicht wie selbst behauptet schon im Jahr 1610 zum ersten Mal gesichtet hatte, sondern frühestens im Januar 1611. Doch auch damit kam er Scheiner auf jeden Fall um einige Monate zuvor. Der französische Philosoph und Naturforscher Pierre Gassendi unternahm in den 1630er Jahren einen letzten Versuch, zwischen Galilei und Scheiner zu vermitteln. Ohne Erfolg. Denn im Streit der beiden ging es längst nicht mehr allein um die Sonnenflecken, sondern auch um die Gültigkeit des kopernikanischen Weltsystems, welches Scheiner ablehnte. Aber immerhin ließ er sich durch Galilei überzeugen, dass die Sonnenflecken keine Monde sind. Später verglich er die dunklen Flecken mit schwarzen Wolken auf der Oberfläche der Sonne. Damit widersprach er deutlich der aristotelischen Lehre von der Unveränderlichkeit des Sternenhimmels. Die ptolemäische Lehre von der im Zentrum des Weltalls ruhenden Erde ließ er hingegen unangetastet.

Es spricht vieles dafür, dass Galilei das Buch von Scheiner kannte. Darüber hinaus dürfte er dessen genaue Beschreibung der Sonnenflecken für seinen eigenen »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme« genutzt haben, der 1632 in Florenz erschien. Darin wird in Gestalt des einfältigen Simplicio nicht nur der damalige Papst Urban VIII. lächerlich gemacht, sondern auch Scheiner, auf dessen Buch »Disquisitiones mathematicae« sich Simplicio indirekt beruft.

Noch im Jahr 1632 wurde Galilei vor das Inquisitionsgericht in Rom zitiert und dort 1633 angeklagt, ketzerische Thesen zu verbreiten. Zu jener Zeit weilte auch Scheiner in Rom. Hat dieser vielleicht aus gekränkter Eitelkeit an dem Prozess gegen Galilei mitgewirkt? Bisweilen wird sogar behauptet, dass es Scheiner persönlich war, der Urban VIII. auf die ihn diffamierenden Stellen in Galileis Dialog hingewiesen habe. Der österreichische Historiker Franz Daxecker ist solchen Vorwürfen nachgegangen. Sein Resümee: »Aus den Prozessakten lässt sich nichts dergleichen nachweisen.«

Eine kleine Nebenrolle spielte Scheiner im Galilei-Prozess dennoch. Und zwar in einem Gutachten des Jesuitenpaters Melchior Inchofer, der darin begründete, warum Galilei unbedingt vor das Inquisitionsgericht gehöre. Er sei unter anderem ein Feind des frommen Herrn Scheiner, »der umfassend gegen die Kopernikaner geschrieben hat«, wie Inchofer feststellte und daraus umgekehrt schloss, dass Galilei die kopernikanische Lehre für richtig halte und damit gegen die Weisungen der Kirche verstoße. Die Inquisition konnte handeln ...

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