Brieföffner für Erwerbslose

Bundesagentur für Arbeit testet umstrittenes Pilotprojekt im Osten

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Am vergangenen Mittwoch startete die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Halle ein Pilotprojekt, das Datenschützern und Erwerbslosenaktivisten Kopfschmerzen bereitet. Im Zuge des Projekts »Elektronische Akte« sollen Briefe, die von Erwerbslosen an die Arbeitsagenturen in Sachsen-Anhalt und Thüringen geschickt werden, von Mitarbeitern einer Fremdfirma geöffnet und digitalisiert werden.

Bei den Arbeitsagenturen beginnt nun auch im Briefverkehr das digitale Zeitalter. Vorerst jedoch nur in in den insgesamt 15 Arbeitsagenturen Sachsen-Anhalts und Thüringens. Im Rahmen des sechsmonatigen Pilotprojektes »Elektronische Akte« sollen Kundenbriefe und Unterlagen in einem Hallenser Scanzentrum digitalisiert und an die Rechner der jeweiligen Sachbearbeiter verschickt werden. Dafür wird sämtliche Post an die Arbeitsagenturen nach Halle umgeleitet. »Wir wollen die Anliegen unserer Kunden schneller und effizienter bearbeiten und auch wirtschaftlicher arbeiten«, sagte BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker.

Das elektronische Verfahren sei schneller als der klassische Postweg, so Becker. Die Originaldokumente würden nach dem Einscannen sicher aufbewahrt, versprach Becker. Zumal sensible Dokumente wie Urkunden, medizinische Gutachten und Bewerbungsunterlagen vorerst nicht digitalisiert werden sollen. Allerdings ist wohl kaum auszuschließen, dass diese Briefe versehentlich geöffnet werden. Schließlich steht nicht auf jedem Umschlag, was für Dokumente er enthält.

Verantwortlich für das Öffnen und Einscannen der Briefe ist die Firma Williams Lea, ein weltweit agierendes Tochterunternehmen der Deutschen Post mit etwa 9000 Mitarbeitern. Ein so großer Konzern weckt natürlich den Argwohn von Datenschützern und Erwerbslosenaktivisten. Schließlich haben die Mitarbeiter von Williams Lea so Zugang zu den privaten Daten der Arbeitslosen. Zwar betont BA-Vorstand Becker, dass der Datenschutz gewährleistet sei. Doch das Misstrauen bleibt. Selbst wenn die Angestellten von Williams Lea zur Geheimhaltung verpflichtet sind.

Als das Projekt eAkte im vergangenen Jahr vorgestellt wurde, hagelte es Kritik von allen Seiten. Vor allem Arbeitslosenverbände befürchteten das Schlimmste. So sagte Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland: »Es ist nicht auszuschließen, dass mit den Daten Schindluder getrieben wird.« Die Befürchtungen Behrsings sind nachvollziehbar. Schließlich ist seit langem bekannt, dass viele Jobcenter ihren Hartz-IV-Betroffenen hinterherschnüffeln und dabei auch vor Spitzelmethoden nicht zurückschrecken. Aufgrund der massiven Kritik wurde das Projekt eAkte im Sommer 2010 um ein Jahr verschoben.

Nun wird das umstrittene Vorhaben also an ostdeutschen Arbeitslosen getestet. Offenbar hat vor allem die hohe Erwerbslosigkeit in Sachsen-Anhalt und Thüringen den Ausschlag gegeben. Immerhin falle hier ein Zehntel des Aktenvolumens der Bundesagentur an, hieß es aus der BA. Tatsächlich sitzt die Agentur auf einem gewaltigen Berg von rund 22 Millionen Akten. Nach Angaben der BA kommen täglich etwa 260 000 hinzu. Eine Digitalisierung der Aktenbestände könnte hier Abhilfe schaffen.

Sollte der auf sechs Monate angelegte Feldversuch in Thüringen und Sachsen-Anhalt erfolgreich sein, wollen Verwaltungsrat und der Vorstand der Bundesagentur entscheiden, ob die eAkte auch in den restlichen der insgesamt zehn Regionaldirektionen eingeführt werden soll. Dann darf die Post in ganz Deutschland die Briefe von Arbeitslosen öffnen. Keine schöne Vorstellung.

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