Trauern in der Fremde
In Düsseldorf entsteht ein Trauerort für Flüchtlinge und Zuwanderer
Düsseldorf. Fast jeder Mensch braucht einen Ort zum Trauern. Doch Migranten und Flüchtlinge lassen mit ihrer Heimat auch die Gräber ihrer Angehörigen und Freunde zurück. So manche seelische Wunde könne deswegen nicht heilen und blockiere einen Neuanfang, sagen Mitarbeiter des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge in Düsseldorf. Sie planen einen interkulturellen Trauerort, der am 21. Juni besichtigt werden kann.
Die offizielle Eröffnung ist für November geplant. Der wohl erste Trauerort für Flüchtlinge entsteht auf dem Gelände der Bergerkirche der evangelischen Diakonie in der Düsseldorfer Altstadt. Er soll Menschen aller Kulturen und Religionen offenstehen.
»Trauern ist für uns eine gemeinsame Sache, es reicht nicht, wenn man allein im Schlafzimmer eine Kerze anzündet«, sagt die ehemalige Polizistin Marthe Ngomba-Matanda. Sie kam vor sieben Jahren als Flüchtling aus dem Kongo und muss den Tod ihrer Mutter verkraften. Auch ihre verstorbene Schwester und viele andere Menschen vermisst sie schmerzlich.
»Das ist wie ein Loch, wie eine große Leere«, sagt die 46-Jährige, die heute als Dolmetscherin im Psychosozialen Zentrum arbeitet, wo Überlebende von Folter, Krieg und Gewalt behandelt werden. Sozialteamleiterin Annette Windgasse ist eine der Initiatorinnen des Trauerortes. Sie hat konkrete Schicksale vor Augen. Eine Klientin aus Äthiopien etwa, die auf der Flucht vergewaltigt und schwanger wurde. Sie ließ das Kind in Deutschland abtreiben, heiratete später und wurde Mutter. »Aber die Trauer um dieses eine Kind, das nie auf die Welt kommen konnte, hat die Frau unglaublich belastet«, sagt Windgasse. Solche traumatisierten Menschen sollen einen Ort finden, um zu trauern, zu beten und zu weinen.
Die Düsseldorfer Künstlerin Anne Mommertz gestaltet den Trauerort: Es ist ein spiralförmig angelegter offener Weg, der zur Mitte hin auf eine Feuer-Wasser-Schale zuläuft, ringsum sind Bänke und hoher schützender Bambus. »Es war nicht einfach, alle Kriterien der Ausschreibung zu erfüllen«, sagt Mommertz. »Keine religiösen Symbole, aber auch nichts, was traumatische Erinnerungen wachrufen könnte wie Draht, Stahl oder Beton.« Mommertz begleitet als Bauleiterin auch die Gartenbaufirma, die den kleinen Park mit alten Bäumen und Vogelgezwitscher mitten im Trubel der pulsierenden Altstadt umgestaltet. »Ich glaube, dass ganz viele Menschen diesen Ort nutzen könnten, auch wenn die Eltern nur in Bayern beerdigt sind«, glaubt Mommertz. In einer Stadt wie Düsseldorf mit hoher Mobilität seien viele Menschen entwurzelt.
»Trauer verbindet uns universell«, sagt Therapeutin Windgasse. Sie sieht gute Chancen, dass der Trauerort für Flüchtlinge zu einem Ort der Integration für die ganze Stadt werden könnte: »Ich hoffe, dass Zuwanderer, Flüchtlinge und einheimische Deutsche hier ein tieferes Verständnis füreinander entwickeln.«
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