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8,1 Millionen Versicherte zahlen einen Zusatzbeitrag

ND-Serie: Welche Versicherungen Sie wirklich brauchen (Teil 9)

  • Lesedauer: 5 Min.
In einer Artikelserie zum umfangreichen Thema Versicherungen behandelt unser Autor HERMANNUS PFEIFFER, Wirtschaftspublizist in Hamburg, jeden Mittwoch an dieser Stelle unterschiedliche Aspekte und Probleme über Versicherungen im Alltag, über Sachversicherungen oder Versicherungen zur Gesundheit und zur Arbeit. Im heutigen Teil 9 geht es um die Zusatzbeiträge für die Krankenkassen.

Zigtausende Krankenversicherte zahlen den Zusatzbeitrag nicht. Ihnen drohen die Krankenkassen mit einer Lohnpfändung durch den Zoll.
Der konkrete Fall: Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse war der erste Versicherer, der seine Geduld verlor. Seit gut einem Jahr müssen DAK-Versicherte einen Zusatzbeitrag von acht Euro im Monat zahlen. Doch mehr als 200 000 der über vier Millionen Mitglieder der DAK weigern sich. Nun sollen Zollbeamte die fehlenden Beiträge eintreiben.

Mit der Liberalisierung des Gesundheitswesens war es den Versicherern lange Zeit erlaubt, unterschiedlich hohe Beiträge von ihren Mitgliedern zu kassieren. Es folgte in der bis heute halbstaatlichen Branche ein heftiger Preiskampf, und mit niedrigen Tarifen warben Kassen zigmillionen attraktiver Neukunden von der Konkurrenz ab. Doch vor allem große Kassen litten darunter, dass Junge und Gesunde zu Billigkassen wechselten und ihnen Alte und Kranke erhalten blieben. Letztere verursachen höhere Kosten und zahlen weniger ein, während Erstere im Schnitt mehr zahlen und geringere Kosten bereiten.

Um das Gleichgewicht wieder einigermaßen herzustellen, entschloss sich der Gesetzgeber zur Rückkehr zum einheitlichen Beitragssatz. Aber ganz auf Preiswettbewerb wollte die Politik nicht verzichten. Krankenkassen, die mit ihren Mitgliedsbeiträgen und mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, sollen das fehlende Geld als »Zusatzbeiträge« bei ihren Versicherten abkassieren. 2009 langten dann erstmals einige Kassen zu.

Das blieb nicht ohne Folgen. Zur Pleite der City BKK in diesem Jahr kam es auch, weil der früheren Betriebskrankenkasse, die mit Billigtarifen wuchs, die Kunden wegliefen. Zuvor war der Zusatzbeitrag von acht auf 15 Euro angehoben worden.

Unser Tipp
Jeder Versicherte hat bei erstmaliger Erhebung oder Erhöhung eines Zusatzbeitrages ein außerordentliches Kündigungsrecht und kann seine Kasse wechseln.

Etwa fünf Prozent weigern sich
Mehr als 8,1 Millionen gesetzlich Krankenversicherte sollen derzeit einen Zusatzbeitrag zahlen. Etwa fünf Prozent dieser Versicherten weigern sich, so die Hamburger Beratungsfirma Steria Mummert Consulting. Hunderttausende hatten bereits früher reagiert und ihre Kasse gewechselt.

Dabei rechnet sich für die Kassen die zusätzliche Einnahme von meist acht Euro nicht einmal, denn der bürokratische Aufwand ist sehr groß. Sie sind gezwungen, Extra-Konten für jeden Versicherten zu führen, müssen zugleich den Geldeingang überwachen, an die Kunden Mahnungen bei Nichteinzug verschicken und gegebenenfalls das Geld eintreiben lassen. »Insgesamt ist der Zusatzbeitrag ein Verlustgeschäft«, sagt Dirk Steffan von Steria Mummert Consulting, »vor allem, wenn man die Abwanderung von Kunden in die Rechnung mit einbezieht.« Zurzeit erhebt etwa jede zehnte der rund 150 Krankenkassen einen Zusatzbeitrag.

Unser Tipp
Das muss nicht in jedem Fall ein Grund zum Wechsel sein. Manche Kassen, die einen Zusatzbeitrag erheben, bieten dafür

Zusatzangebote, die beispielsweise für Allergiker oder junge Mütter interessant sein können.

Der Zoll soll Beiträge eintreiben
Spätestens im kommenden Jahr könnten zahlreiche weitere Versicherer aufgrund steigender Ausgaben nachziehen. Der Zusatzbeitrag dürfte dann acht Euro deutlich übersteigen und sich damit auch vom Aufwand her betriebswirtschaftlich lohnen. Setzt sich die bisherige Ausgabenentwicklung fort, könnte der Betrag 2020 bei 70 Euro liegen, schätzen Experten.

Gründe für die Zahlungsunlust gibt es viele. Wie bei der Einführung der Zuzahlung für Medikamente oder die Zuzahlung von zehn Euro pro Tag in Krankenhäusern gibt es politischen Widerstand. Andere vergessen es schlicht, weil üblicherweise Krankenkassenbeiträge automatisch vom Konto abgebucht werden und wieder andere Versicherte sind selbst knapp bei Kasse.

Unser Tipp
Für säumige Schuldner besteht (noch) kein Grund zur Panik. Ärzte und Kassen sind verpflichtet, alle Versicherten zu behandeln, egal, ob diese zahlen oder nicht.

Mit der Geduld am Ende ist allerdings die DAK. Weil sie durch den Zusatzbeitrag ohnehin viele Versicherte verloren hat, steckt die Kasse in finanziellen Schwierigkeiten. Obwohl auch bei ihr nur etwa fünf Prozent der Kunden nicht zahlen wollen, werden nun schärfere Seiten aufgezogen. Wer von Anfang an nicht gezahlt hat, schuldet der Kasse inzwischen mehr als 120 Euro. Seit 2011 können die Krankenkassen zudem einen »Verspätungszuschlag« (eine Mahngebühr) verlangen. Richten soll es jetzt der Zoll. Doch auch der wird zunächst nur eine Mahnung herausschicken, könnte aber schließlich das Gehalt pfänden oder vor der Tür der Säumiger stehen.

Seit die Grenzen in der EU ihren trennenden Charakter verloren, wird der Zoll verstärkt nach innen eingesetzt: gegen Schwarzarbeitsfirmen, für Kontrolle von Mindestlöhnen und als Inkassounternehmen, das für staatliche Stellen Geld eintreibt. Meistens sind es Forderungen der Bundesagentur für Arbeit, denen Nachdruck verliehen wird. Oder Selbstständige und Firmeninhaber, die keine Kassenbeiträge zahlen, hören vom Zoll.

Fast jeder dritte Fall unbearbeitet
Im vergangenen Jahr hat die Zollverwaltung rund 4,1 Millionen Vollstreckungsfälle (2009 waren es 4,2 Millionen) für Bund und Sozialbehörden bearbeitet und 1,2 Milliarden Euro »eingetrieben«. Nun wollen auch Krankenkassen den Zoll nutzen. »Ohne Personalaufstockung ist diese Aufgabe nicht zu leisten«, kontert der Chef der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ), Klaus Leprich. Ohnehin bestünden »riesige Rückstände«. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hat die Bundesregierung einen beträchtlichen Personalfehlbestand im Bereich der Vollstreckung eingeräumt. Fast jeder dritte Fall bleibt als »offenes Verfahren« unbearbeitet liegen.

Teil 10 in der nächsten Woche: die Risiko-Lebensversicherung

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