"Zieht mal die Shirts aus und tanzt auf der Bühne!"

Frauenpower mit "The Pretty Reckless", Melissa auf der Maur und "Guano Apes" beim 45. Montreux Jazz Festival

  • Christoph Nitz, Montreux
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Ansager in der Miles Davis Hall lag definitiv nicht daneben, als er am 4. Juli 2011 "The Pretty Reckless" als derzeit heißeste Band ankündigte und gleich noch das "Montreux Rock Festival" proklamierte. Die 17-jährige Sängerin Taylor Momsen trat in Montreux für ihre Verhältnisse "anständig" gekleidet auf die Bühne und überzeugte nicht nur optisch. Die "Guano Apes" legten ebenfalls ein vielbejubeltes Set hin. Lediglich Melissa auf der Maur konnte im Contest der Rockfrauen weniger überzeugen.
Sandra Nasic und die reformierten "Guano Apes" gaben ein furioses Konzert beim 45. Montreux Jazz Festival.
Sandra Nasic und die reformierten "Guano Apes" gaben ein furioses Konzert beim 45. Montreux Jazz Festival.

Derzeit machen Auftritte von "The Pretty Reckless" meist wegen der gewagten Outfits der 17-jährigen Frontfrau Taylor Momsen Medienschlagzeilen. Sie provoziert gern mit Strapse und Lederjacke und wenig mehr auf der Haut. Das Model trat in Montreux einigermaßen "anständig" vors Publikum – ein Metallica-Shirt musste reichen. Ihre weiblichen Fans kombinieren jedenfalls Zahnspangen mit natürlicher Unbekümmertheit und Selbstbewusstsein. Dem Aufruf "Zieht mal die Shirts aus und tanzt auf der Bühne" folgten in Montreux denn auch bereitwillig viele Mädchen und feierten mit ihrem Idol ausgelassen. Allerdings überzeugen die New Yorker auch musikalisch. Die Titel ihres Debüt-Albums "Light me up" bieten hartem schnörkellosen Rock, direkt gespielt und hervorragend komponiert.

Lärmgewitter gingen über Montreux nieder und längst aus dem Traditionskanon der Musikwelt verdrängte Gitarren- und Drumsoli machten die Rockparty rund. Bei "Nothing left to lose" geben sich die Rebellen anfangs wie die letzten Übriggebliebenen einer Outdoor-Feierei am Baggersee, die am Feuer noch zur Gitarre singen. Ausdrucksvoll spielt Taylor Momsen die Stärken ihrer wandelbaren Stimme aus - die dreckige Grundierung immer durchscheinend. Plötzlich gibt die Autobatterie wieder etwas Saft und mit Wattpower entwickelt sich der Titel zu einem furiosen Finale. Der Schlagzeuger wollte die tolle Stimmung festhalten und hielt mit einer Digitalkamera aufs Publikum – die Fotosouvenirs der Musiker entwickeln sich vielleicht noch zum Running-Gag der 45. Festival-Auflage.

Nach so einem kräftigen Aufschlag fiel Melissa auf der Maur mit ihrem Programm ab. Sie wirkt immer etwas zu routiniert und einen Takt zu maniriert und wenn sie süßlichen Chorgesang ihrer männlichen Kollegen mit Stimmakrobatik à la Lene Lovich kombiniert verbessert sich der Eindruck nicht wirklich. Ihr Musikangebot wurde andernorts als "Alt-Rock" bezeichnet und das trifft das konturlose Rockeinerlei sehr gut. Letztes Jahr fehlte sie bei der Eröffnung des Festivals wegen Air Canada - doch nach ihrem Auftritt frage ich mich, wie sie das Auditorium Stravinski hätte begeistern wollen. Oder vielleicht war gestern nicht ihr bester Tag.

Mit dem Abend versöhnten die wieder vereinten "Guano Apes" um Sandra Nasic. Spielfreudig machen sie vergessen, dass die Gründung schon im Jahr 1990 erfolgte. Nur beim Rausschmeißer "Lord of the boards" kommentierte die Sängerin, dieser Titel hätten sie geschrieben, "when we were pretty young". Doch auch das neue Material vom Nummer-Eins-Album"Bel Air" überzeugte. Und mit "Big in Japan" gelang ein derart rotzfreches Cover, was sich Marian Gold von "Alphaville" wohl kaum hätte träumen lassen. Die "Affen" - Leuchtbuchstaben auf der Bühne bieten dem Nicht-Kenner Orientierung - bieten beste deutsche Schwerstarbeit in der Abteilung metalllastiger Crossoverprojekte. Der Auftritt in Montreux macht Appetit auf die kommende Tour - im Oktober ist Start und die Reise soll bis Februar gehen.

Taylor Momsen musste ihre Fans nicht lange rufen: "Zieht mal die Shirts aus und tanzt auf der Bühne""
Taylor Momsen musste ihre Fans nicht lange rufen: "Zieht mal die Shirts aus und tanzt auf der Bühne""
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal