»Erst sterben die Tiere, dann ...«

Afrika erlebt eine katastrophale Dürre – Hilfsorganisationen wollen das Schlimmste verhindern

  • Philipp Hedemann, Addis Abeba
  • Lesedauer: 3 Min.
Schon gibt es aus Ostafrika wieder Bilder ausgehungerter Kinder mit aufgeblähten Bäuchen. UN und Hilfsorganisationen zeichnen ein Schreckensszenario, das sich nach zwei weitgehend ausgefallenen Regenzeiten in Folge am Horn von Afrika abzeichnet – über zehn Millionen Menschen sind betroffen.
Der Nomade Mohammed Ali hofft inbrünstig auf Regen.
Der Nomade Mohammed Ali hofft inbrünstig auf Regen.

Über sechs Stunden ist Mohammed Ali mit seinen 35 Kühen und 70 Ziegen durch die staubtrockene Savanne marschiert, bis er kurz vor der somalischen Grenze endlich das Wasserloch erreichte. »Ich komme jeden zweiten Tag mit meinen Tieren zum Wasserloch, und jedes Mal gibt es weniger Wasser. Ich habe Angst, dass es bald ganz austrocknet. Dann sterben erst die Tiere, dann ...« – der Vater will den Satz nicht zu Ende denken, nicht zu Ende sprechen. Er drückt dem Wächter des Wasserlochs ein schmutziges Bündel in die Hand. Wer hier sein Vieh tränken will, muss umgerechnet rund zwei Cent pro Tier zahlen.

Im Südosten Äthiopiens hat es über sieben Monate nicht geregnet. In dem Land, in dem vor 26 Jahren über eine Million Menschen verhungerten, droht neue Not. Über zehn Millionen Menschen am Horn von Afrika sind laut dem Koordinationsbüro für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen (Ocha) von der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren bedroht.

»Ich kann nicht den Notstand ausrufen. Das kann nur die Regierung in der Hauptstadt Addis Abeba. Aber wenn es nicht bald regnet, werden wohl nicht nur Tiere sterben. Wir brauchen mehr internationale Hilfe«, sagt ein Beamter in der von der Dürre am schlimmsten betroffenen Somali-Region. Aus Angst vor Repressalien will er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Äthiopiens Ministerpräsident Meles Zenawi hatte im letzten Jahr vollmundig angekündigt, dass sein Land in fünf Jahren nicht mehr auf internationale Lebensmittel-Hilfslieferungen angewiesen sein möchte. Experten glauben, dass das Ziel in dem Land mit der rasant wachsenden Bevölkerung kaum erreicht werden kann. Die äthiopische Regierung setzt unter anderem auf die Verpachtung riesiger landwirtschaftlicher Flächen an ausländische Investoren, doch ein Großteil der Ernten soll sofort aus dem zwölftärmsten Land der Welt exportiert werden.

3,2 Millionen Menschen waren laut Berechnungen der äthiopischen Regierung im ersten Halbjahr 2011 auf Lebensmittel-Hilfslieferungen angewiesen sein. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) geht davon aus, dass es alleine in Äthiopien im nächsten Halbjahr 3,5 Millionen Hilfsbedürftige mit Lebensmitteln versorgen muss. 143 000 Tonnen Getreide, 14 000 Tonnen Hülsenfrüchte, 10 000 Tonnen Spezialnahrung für Alte, Kranke, Kinder und stillende Mütter und 3500 Tonnen Öl haben die UN-Leute im ersten Halbjahr 2011 verteilt. Kosten: über 90 Millionen Euro (108 Millionen Franken).

Eine, die von den UN-Hilfslieferungen profitiert, ist Fayiza Mohammed. Mit 565 Mädchen und 507 Jungen sitzt sie auf einem staubigen Schulhof 30 Kilometer nördlich von Jijiga, der Provinzhauptstadt der Somali-Region. Zusammen mit ihren Freundinnen schaufelt die Grundschülerin einen Brei aus Mais- und Soja-Mehl in sich rein. Seit zehn Jahren ermöglicht das Welternährungsprogramm in Tuliguled kostenlose Schulspeisungen. Die Einschulungsrate in der besonders oft von Dürren betroffenen Gegend, in der schon kleine Kinder zum Wasserschleppen oder Tierhüten abgeordnet werden, hat sich seitdem mehr als verdoppelt. In der streng muslimischen Gemeinde, in der Mädchen schon im Kindesalter an den Genitalien beschnitten und einem oft viel älteren Mann versprochen werden, profitieren besonders Schülerinnen von dem Programm, denn sie erhalten jeden Monat zusätzlich zwei Liter mit Vitaminen angereichertes Pflanzenöl. »Ohne Schulessen hätten wir Hunger und könnten nicht lernen. So bringt Schule Spaß und unsere Eltern haben nichts dagegen, dass wir hingehen«, erklärt die Schülerin, nachdem sie aufgegessen hat.

Während Fayiza Lesen, Schreiben und Rechnen lernt, um später einmal Ärztin zu werden, marschiert Mohammed Ali mit seinen Tieren schon wieder durch die Savanne. »Wir beten jeden Tag zu Allah. Wenn wir es uns leisten können, opfern wir ihm eine Ziege. Irgendwann muss es doch mal regnen«, sagt der strenggläubige Nomade. Die mit Hochleistungscomputern berechneten Langzeitprognosen geben den Gebeten Mohammeds wenig Chancen.

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