Das Beste für die Region herausholen

  • Uwe Polkaehn
  • Lesedauer: 4 Min.

Die feste Fehmarnbeltquerung, die ab 2019 in Form eines Senktunnels die Eisenbahn- und Straßenverbindung zwischen Dänemark und Deutschland herstellen soll, beschäftigt die Gemüter entlang der Vogelfluglinie nun schon bald 25 Jahre. Es gibt fast kein Argument, keine These, die in den zahllosen Gesprächen und Informationsveranstaltungen noch nicht vorgetragen wurde. Trotzdem gehen die Wogen der Aufregung bei diesem höchst umstrittenen Projekt nach wie vor hoch, gerade wenn öffentliche Veranstaltungen wie jüngst mit Verkehrsminister Peter Ramsauer stattfinden.

Natürlich gibt es viele Pro- und Kontraargumente. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Interessen und verschiedene Standpunkte. Sie müssen fair ausdiskutiert werden.

Die Arbeitnehmer im Lübecker Hafen sehen es als sehr kritisch an, wenn die Konkurrenz auf Straße und Schiene durch den Tunnel gefördert wird und dadurch das Frachtvolumen von der Seeschifffahrt abgezogen und die Hafenwirtschaft geschwächt werden. Die Arbeitnehmer im Rostocker Hafen befürchten eine Verlagerung von Güterströmen auf die Vogelfluglinie, wie die Kollegen in Flensburg sich über eine wirtschaftliche Schwächung der Jütlandlinie, die Hamburg mit Kopenhagen/Malmö verbindet, sorgen. Die Jütlandlinie über den Großen Belt ist fast 200 Kilometer länger als die Vogelfluglinie über den Fehmarnbelt; der Verkehr braucht über die längere Strecke mehr Zeit und ist ökologisch belastender. Der nördlichste Teil Schleswig-Holsteins hat Angst, wirtschaftlich durch die feste Fehmarnbeltverbindung abgehängt zu werden.

Hamburg dagegen sieht große wirtschaftliche Entwicklungschancen durch eine schnellere Verbindung zum Öresund-Wirtschaftsraum Kopenhagen/Malmö. Hamburg will seine Position als eine bedeutende Logistikdrehscheibe im Norden stärken. Die Wirtschaftsvertreter versprechen Ansiedlung von Unternehmen und Schaffung von Arbeitsplätzen entlang der Vogelfluglinie (Autobahn A1).

Fehmarn und die Bäderorte in der Lübecker Bucht haben Sorgen vor einem Einbruch der Touristenzahlen und dem Verlust von Arbeitsplätzen.

Das ganze Hin und Her der Argumente, die sehr unterschiedlichen Interessen haben dazu geführt, dass die Gewerkschaften im DGB Nord keine einheitliche Entscheidung für oder gegen die feste Verbindung getroffen haben. Die Parlamente haben den Bau beschlossen, und die Regierungen in Deutschland und Dänemark haben einen Staatsvertrag unterschrieben. Das müssen wir so erst einmal als gesetzt hinnehmen.

Für den DGB kommt es jetzt darauf an, den größtmöglichen Nutzen aus dem Bau zu ziehen und die negativen Folgen so klein wie möglich zu halten. Nutzen kann der Bau des Tunnels, wenn europäische Arbeitnehmer hier Arbeit finden – und zwar zu den Bedingungen, die in der deutsch-dänischen Grenzregion gelten. Die Devise lautet: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am Ort des Baus. Ein grenzüberschreitender Tarifvertrag zwischen deutschen und dänischen Gewerkschaften und den Arbeitgebern könnte Lohndumping verhindern. Über die mehrere Jahre dauernde Bauphase könnte eine gemeinsame deutsch-dänische Berufsausbildung praktiziert werden.

Wie können in der Region Arbeitsplätze geschaffen werden? Wie muss der regionale Wirtschaftsprozess organisiert werden? Wie kann durch die schnellere Verbindung des europäischen Dreiecks Hamburg – Kopenhagen/Malmö – Berlin zusätzlicher Nutzen generiert werden? Was muss getan werden, damit die Region der Vogelfluglinie nicht nur eine Durchfahrtsregion wird, sondern Produktion, Tourismus und wirtschaftliche Aktivitäten hier stattfinden? Dazu gehört gemeinsamer Gestaltungswille, um für die Menschen, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der gesamten Region das Beste zu erreichen.

Der Tunnel selbst wird von Dänemark finanziert. Die Dänen sind davon überzeugt, dass durch die Maut die Investitionskosten erwirtschaftet werden können. Die Hinterlandverbindungen muss jedes Land selbst bezahlen. Die Schätzungen der Kosten für den Ausbau der Bahnstrecken und der Autobahn in Deutschland liegen zwischen 800 Millionen und zwei Milliarden Euro. Der dringend notwendige Ausbau der Verkehrsinfrastruktur – ob mit oder ohne Fehmarnbelt – muss kommen, um das strukturschwache Ostholstein weiter entwickeln zu können. Mit der Fehmarnbeltquerung kann das demnächst beginnen, aber ohne Fehmarnbelt?

Die zweispurige Fehmarnsundbrücke muss durch einen Tunnel oder eine weitere Brücke erweitert werden. Soll die Eisenbahn zu einer Schnellstrecke werden, muss sogar eine neue Trasse gefunden werden. Das Eisenbahn-Verkehrsprojekt deutsche Einheit Lübeck – Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) muss endlich realisiert werden. Die Einrichtung eines Dialogforums, um alle Fragen mit Befürwortern und Skeptikern des Tunnels zu beraten, halte ich für sinnvoll. Nicht, um Dampf aus dem Kessel zu lassen, sondern um wirklich Entscheidungen im Konsens zu finden.

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