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Auftrag: Angst!

Rupert Murdoch: Medienskandal erlaubt Einblicke in die Abgründe der »News Corporation«

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Boulevard-Geschichte bringt den Rockefeller und Machiavelli des internationalen Gossen-Journalismus, Rupert Murdoch, momentan ins Wanken. Also nicht sein jahrzehntelanges Bombardement der Bevölkerung mit rechtslastiger Trivialität. Auch nicht seine unverblümten politischen Kampagnen die zahllose Fälle von Einflussnahme, Erpressung, Aufwiegelung, Ablenkung beinhalten. All das wurde und wird im Murdoch-Kosmos geduldet. Nun aber hat die Empörung über den abstoßenden journalistischen Umgang mit der ergreifenden Geschichte eines 13-jährigen Mädchens eine Sprengkraft entwickelt, die der Weltmacht »News Corporation« tatsächlich zusetzen könnte.

Die Firma des Multimilliardärs kontrolliert mehr als hundert Zeitungen, TV-Kanäle und Filmstudios auf drei Kontinenten. Sie wird geführt von einem Überzeugungstäter. All der Klatsch aus Sport, Adel und Kriminalität ist hier Beiwerk und Vehikel für Murdochs marktradikale Agenda.

Als sei die Welt aus einem langen Schlaf erwacht, als sei das Boulevard-Monster erst gestern wie ein Springteufel aus seiner Box geschossen, ist jetzt das artikulierte Erstaunen angesichts ausufernder Bespitzelung und Bestechung groß – vor allem in England, aber auch in Australien und den USA.

Selten war der Vorwurf der Heuchelei so gerechtfertigt, wie der gegenüber den seit Generationen mit Murdoch paktierenden, nun ihn attackierenden Politikern. Wären nicht die Ankläger ebenfalls Heuchler. Die Leser nämlich, die bei »Sun« oder »Fox News« mit abstoßender Selbstverständlichkeit nach privaten Schwächen Anderer suchen, und die die kriminellen Praktiken ihrer Lieblingsautoren lange vor den aktuellen Enthüllungen um »News of the World« genossen haben.

Doch Konsumentenschelte führt nicht weiter – die Massen an Murdoch-Fans lassen sich nur durch langfristige Aufkärungskampagnen kurieren. Ebenso ist die nun anhebende Demontage der zu Kartellwächtern gewandelten Politiker kontraproduktiv. Nun, da sie endlich den Vorwand, die nötige öffentliche Empörung und die persönliche Motivation haben, die es braucht, um den mächtigsten Medienmogul der Welt anzugreifen.

Die nie gewagte, weil als Himmelfahrtskommando eingeschätzte Schlacht gegen Murdoch verspricht momentan höchste Ehre, der übermächtige Gegner scheint angeschlagen. Es ist eine einmalige Gelegenheit. Es steht aber zu befürchten, dass sie nicht wahrgenommen wird.

Schließlich wird jetzt schon als Sieg gefeiert, dass alles so bleibt, wie es ist. Der Australier mit US-Pass wird einen britischen Bezahlsender – vorerst – nicht ganz übernehmen können. Fast 40 Prozent der gesamten englischen Medienlandschaft wird Murdoch dennoch weiterhin sein Eigen nennen. Und damit auch seine anmaßend, ja exzessiv genutzten politischen Einflussmöglichkeiten. Zu einer Aussage vorm Parlament nächste Woche muss er sich aber immerhin herablassen.

Das gefährlichste Murdoch-Produkt ist der TV-Kanal »Fox News« in den USA. Hier heißt der Auftrag: Angst! Der aufreizend selbstbewusst präsentierte Wahnsinn aus Paranoia, Pathos und Rassismus kreiert seine ganz eigene Welt. Hier gelten Nachrichtenstandards als Luxus für Weicheier. Angesagt ist systematisches Kampagnen-TV und Langzeitpropaganda. Die Redaktionen folgen laut Ex-Mitarbeitern den täglich von der Konzernspitze ausgegebenen Losungen.

Die Lüge wird – angesichts angreifender Araber und Sozialisten – offensiv als legitime Waffe verteidigt, ihre Aufdeckung tut dem Erfolg des Senders keinen Abbruch. Seriosität, ein Pfund mit dem andere Infokanäle einst versuchten zu wuchern, ist im Hause Murdoch völlig nebensächlich.

Ebenso fühlen die Fox-Konsumenten, die das schrille Kampf-TV trotzig zum erfolgreichsten Nachrichtenkanal der USA machten. Und sich selber zur mit Abstand am schlechtesten informierten Bevölkerungsgruppe. Einen Vorteil hat das skurrile Fox-Weltbild. Die bizarren Auftritte von Moderatoren wie Bill O'Reilly, Glen Beck oder der ehemaligen Vize-Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin sind Inspiration zu so manch gutem Witz. Geradezu spezialisiert haben sich darauf die sehr populären Comedians Jon Stewart und Stephen Colbert, die große Teile ihres Programms auf den Patrioten-Zirkus beziehen.

Ihnen und weiteren Feinden der in fortschrittlichen Kreisen der USA gründlich verhassten Fox-Verführer bietet sich jetzt möglicherweise die Chance zum Angriff: Murdoch-Agenten sollen Angehörige von 9/11-Opfern bespitzelt haben. Setzt sich die Entwicklung im Hause Murdoch mit der jetzigen Dynamik fort, können extreme Optimisten gar auf die Realisierung einer (abgewandelten) feurig-naiven Losung Ulrike Meinhofs hoffen: »Enteignet Murdoch!«

Der Autor ist Kulturredakteur des ND-Berlinteils

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