Parole »Milchkaffee«

Wie es dem Roten Falken Hans Landauer mit einer Notlüge gelang, in den Spanienkrieg zu ziehen

  • Lesedauer: 7 Min.
Er war einer von 1500 Österreichern, die nach dem Putsch spanischer Generäle gegen die Volksfrontregierung in Madrid am 17./18. Juli 1936 auf die Iberische Halbinsel eilten, um die Republik zu verteidigen: HANS LANDAUER, geboren am 19. April 1921 in Oberwaltersdorf/Niederösterreich. Während des Zweiten Weltkrieges im KZ Dachau inhaftiert, war er in Nachkriegsösterreich zunächst bei der Kriminalpolizei tätig und später Angehöriger eines UN-Polizeikontingents auf Zypern. Mit dem Herausgeber des »Lexikons der österreichischen Spanienkämpfer 1936-1939« sprach KARLEN VESPER.
Hans Landauer bei der Verabschiedung der Interbrigaden am 28. Oktober 1938 in Barcelona.
Hans Landauer bei der Verabschiedung der Interbrigaden am 28. Oktober 1938 in Barcelona.

ND: Herr Landauer, sind Sie verwandt mit dem berühmten deutschen Anarchisten Gustav Landauer, der 1919 von rechter Soldateska ermordet worden ist?
Landauer: Nein.

Aber in Spanien sind Sie damals doch sicher auf die Namensgleichheit mit jenem angesprochen worden. Oder nicht?
Sie hatten in Spanien andere Helden. Und außerdem hieß ich dort nicht Landauer, sondern Operschall.

Wie sind Sie nach Spanien gelangt? Wie haben Sie vom Putsch der Generäle erfahren?
Aus der »Arbeiter-Zeitung« und anderen linken, illegalen Presseerzeugnissen. Ich war damals Blattbindergehilfe in der Firma A. Rudolph, einer Weberei in Ober-Waltersdorf in Niederösterreich. Dort wussten alle Bescheid. Die Arbeiter in diesem Betrieb waren alle links, entweder Kommunisten oder Sozialdemokraten. Sie fieberten mit Volksfrontspanien.

Waren Sie politisch organisiert?
Ich war bei den Kinderfreunden, der sozialdemokratischen Jugendorganisation, und ab 1934 bei den Roten Falken. Meine beiden sozialdemokratischen Großväter waren Bürgermeister in Oberwaltersdorf und in Tattendorf. Nach unserer Niederlage in den Februarkämpfen 1934 gegen das Dollfuß-Regime und den Austrofaschismus, sind sie aus ihren Gemeindestuben verjagt worden.

Ich wohnte bei meinem Großvater mütterlicherseits. Eines Tages kam ein Freund, schwenkte einen Brief und verkündete: »Der Haiderer, Franz kämpft schon in Spanien.« Da habe ich mir gesagt: Dort musst du auch hin. Ich gestehe: Mich hat vor allem jugendliche Abenteuerlust gepackt.

Und da trabten Sie einfach los?
Ich hatte natürlich Hilfe. Es gab eine so genannte »Transportorganisation«. Ich bekam von denen 150 Schilling Fahrgeld und eine Anlaufadresse in Paris: Café Grison, Rue d'Alsace 39. Am 18. Juni 1937 bin ich los. 24 Stunden später saß ich in dem Café und sagte die wunderbare Parole: »Café au lait, s'il vous plait.« Und außerdem, dass ich »Monsigneur Max« sprechen wolle. Der Kellner antwortete: »Un peu, s'il vous plait.« Aus dem »un peu«, aus dem kurzen Augenblick, wurden zwei Stunden. Man hat mich dann in ein Hinterzimmer geführt, zu »Monsigneur Max«. Ich platzte fast vor Stolz, habe ihm meinen Reisepass unter die Nase gehalten. Da sagte »Max« entsetzt im härtesten Wiener Dialekt: »Was denn, bist du blöde? Wir schicken doch keine Kinder nach Spanien!« Da war ich sprachlos.

Und nun?
Ich lass mich nicht so leicht von etwas abzubringen, was ich mir fest vorgenommen habe. Also habe ich gelogen: »Das ist der Pass von meinem Cousin.« Den es gar nicht gab. »Ich bin nicht 16, sondern schon 18«, log ich. »Und ich heiße auch nicht Landauer, sondern Operschall.« Das war der Geburtsname meiner Mutter. Kurzum, ich habe mich durchgesetzt. In Spanien haben mich dann die Bürokraten von der Komintern noch einmal um zwei Jahre älter gemacht. Offenbar, weil auch sie Bauchschmerzen hatten, einen Bub kämpfen zu lassen.

Als Sie in Spanien ankamen, tobte die Schlacht um Brunete.
Ja, die war in vollem Gange. Am 18. oder 19. Juli 1937, ein Jahr nach dem Putsch, sind wir – 35 Mann – mit einem Autobus in Richtung Madrid gefahren. Das österreichische Bataillon »12. Februar 1934« wurde nun als 4. Bataillon der XI. Brigade eingegliedert. Ich gehörte der Maschinengewehrabteilung an. Einige Tage waren wir nördlich von Brunete im Einsatz. Dann haben wir Quinto eingenommen. Anschließend ging es nach Mediana. Da wurde ich am 4. September 1937 verwundet. Ich kam ins Spital nach Benicàssim. Dort war ich drei Wochen. Die Stadt liegt an der Costa del Azahar, am Mittelmeer. Es war wunderschön. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich im Meer gebadet.

Was war die schlimmste Schlacht, die Sie mitmachten?
Die schlimmste Materialschlacht, wie es so schön im Kriegsdeutsch heißt, war die Ebro-Schlacht. Da war ich nicht mehr im Bataillon »12. Februar«, sondern im Batallón Special der 35. Division. Um Corbera, eine katalanische Stadt im Nordosten Spaniens, sind 28 Österreicher gefallen. Danach hat es in der gesamten XI. Internationalen Brigade nurmehr 180 Österreicher und 200 Deutsche gegeben. Alle anderen waren Holländer, Dänen und Spanier.

Wie viele Österreicher haben in den Interbrigaden gekämpft?
Etwa 1500. Nach meinen Recherchen sind 235 gefallen.

Hatten Sie auch Angst?
Na klar. Wenn die Granaten links und rechts von dir explodieren, da schlottern dir alle Glieder. Ich habe mir da gesagt: »Nur ein Ochs fürchtet sich nicht, wenn er zur Schlachtbank geführt wird.«

Sind auch Sie nach Francos Sieg in Frankreich interniert gewesen wie viele Interbrigadisten?
Ja, in Saint-Cyprien, Gurs, Argelès-sur-mer, Toulon. Im November 1940 wurde ich von den Deutschen verhaftet, kam über München ins Gestapo-Gefängnis in Wien und wurde wegen »Hochverrat« verurteilt. Vom 6. Juni 1941 bis zum 29. April 1945 war ich in Dachau.

Sie haben sich um die Erforschung der Geschichte österreichischer Interbrigadisten verdient gemacht. Fühlten Sie eine innere Verpflichtung dazu?
Ich begann damit erst nach der Pensionierung. Ich habe im Dokumentationsarchiv in Wien, im DÖW, gearbeitet. Das ist 1963 von Professor Herbert Steiner gründet worden, ein feiner Kerl; er war in der Emigration in England, seine Eltern sind in Auschwitz umgebracht worden. Es gab im DÖW anfangs nur 36 Dossiers von österreichischen Spanienfahrern. Also habe ich mich in die Materie gekniet – gegen den Willen einiger österreichischer Spanienfahrer.

Wieso das?
Die wollten nicht, dass ausgerechnet ich ihre Geschichte niederschreibe. Die waren noch in stalinistischem Denken verhaftet.

Und fürchteten die Enthüllung unangenehmer Wahrheiten, etwa stalinistischer Willkür?
Das wird's gewesen sein. Die traf ja auch Österreicher. Zum Beispiel Josef Frank. Er gehörte zu jenen, die nach dem Spanienkrieg in die Sowjetunion gingen. Dort ist er als »deutscher Spion« verurteilt worden. Eine totale Idiotie! Ein Jahr nach seiner Verurteilung starb er in einem Lager in der Gegend von Taschkent.

Wissen Sie, wie viele österreichische Spanienkämpfer Opfer Stalinschen Terrors wurden?
Wir wissen, dass von den in die Sowjetunion gegangenen Spanienfahrern 13 ums Leben gekommen sind. Aber nicht alle waren Opfer Stalins, viele starben in Fortsetzung ihres antifaschistischen Kampfes. Josef Goldberger und Franz Zivny wurden nach der Eroberung von Charkow durch die Wehrmacht von einer Einsatzgruppe des deutschen Sicherheitsdienstes erschossen. Elf österreichische Interbrigadisten starben als Kundschafter der Roten Armee oder als Beauftragte der KPÖ. Sie sollten in Österreich die illegale Arbeit stärken; vier von ihnen erreichten ihr Einsatzgebiet nicht, sind mit dem Flugzeug abgestürzt.

Ich will damit sagen: Auch wenn wir über das weitere Schicksal von einigen österreichischen Spanienfahrern in der Sowjetunion nichts wissen, bedeutet das nicht, dass sie alle Opfer Stalins geworden sind. Österreichische Spanienfahrer haben übrigens auch in der britischen und in der US-Armee gekämpft. Sie mussten nicht in den Kampf gegen Hitler ziehen, aber sie haben es getan.

Wie war das Verhältnis der Österreicher in der Nachkriegszeit zu den »eigenen« Spanienkämpfern?
Bis heute werden wir von offizieller Seite nicht geehrt. Unerträglich fand ich aber auch die gegenseitigen Beschimpfungen unter ehemaligen Interbrigadisten in der Zeit der Blockkonfrontation. Es gab viel böses Blut. Erst nach dem Untergang des »realen Sozialismus« fanden wir wieder zusammen. Außerdem gab es jetzt Wichtigeres, als sich zu streiten.

Und das wäre ...?
Gemeinsam zu versuchen, der globalen neoliberalen Offensive und den neuen Kriegen Einhalt zu gebieten. Ich bin zwar pessimistisch, ob dies gelingt. Aber ich will die heutige Jugend nicht vom Kämpfen abhalten. Die spanische und auch die nordafrikanische Jugend stimmt mich zuversichtlich.

Von Karlen Vesper erscheint demnächst im Pahl–Rugenstein Verlag ein Band unter dem Titel »Los Voluntarios de la Libertad«, das weitere Interviews mit »Freiwilligen der Freiheit« enthält, darunter mit der Russin Adelina Kondratjewa, dem Schweizer Albert Santer und der Französin Lise Ricol-London, Witwe des Vize-Außenministers der CSSR, Artur London, der 1952 Mitangeklagter im Schauprozess gegen Slánský und Genossen war.

VVN-BdA und die Vereinigung der Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik e. V. laden an diesem Sonntag, den 17. Juli (17 Uhr), anlässlich des 75. Jahrestages des Spanienkrieges zu einer Gedenkkundgebung am Spanienkämpferdenkmal in der Friedensstraße am Berliner Volkspark Friedrichshain ein.

Der Veteran neben dem Gedenkstein für die Freiwilligen auf dem Ehrenfriedhof von Barcelona
Der Veteran neben dem Gedenkstein für die Freiwilligen auf dem Ehrenfriedhof von Barcelona
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